Samu Haber beim Konzert in der Schleyerhalle. Foto: Lichtgut/ Willikonsky - Lichtgut/ Willikonsky

Sunrise Avenue konfrontieren in der Stuttgarter Schleyerhalle Formatradio-Popsongs und Stadion-Rockhymnen.

StuttgartSunrise Avenue surfen wahrlich auf einer mächtigen Erfolgswelle. Seit Sänger Samu Haber als „süßer Finne“ in diversen Staffeln von „The Voice of Germany“ Charme-Punkte sammelte, geht es auch mit der Popularität des Rock-Pop-Quintetts aus Finnland steil nach oben. Entsprechend ist die Stuttgarter Schleyerhalle, wie schon vor vier und zwei Jahren, auch diesmal restlos ausverkauft. Und 12 500 Fans erleben eine lässige, blitzsaubere Show. Musikalisch konventionell, fast brav, weil ohne kreative Raffinesse. Die Band spielfreudig, aber wenig dynamisch oder gar innovativ. Der Sound dafür überragend, mit perfekt darauf abgestimmten Lichteffekten.

Bereits der Opener gibt die Richtung für den kurzweiligen Abend vor. „Prisoner in Paradise“ ist relativ neu und wurde live noch nie gespielt. Der Song taucht ruhig und langsam aus einem stroboskopischen Lichtgewitter auf, türmt sich dann in den Refrains auf und endet in einem hymnischen Feuerwerk. Dieses Wechselbad der Emotionen durchleben die Fans fortan in den folgenden 105 Minuten: eine Konfrontation von eingängigen Balladen und weichgespülten Formatradio-Popsongs mit prächtigen Stadionrockern und formidablen Hymnen. Für erstere sind ausschließlich Songs des im vergangenen Oktober veröffentlichten Albums „Heartbreak Century“ verantwortlich, das sie nahezu komplett spielen. Es ist das fünfte Werk der Skandinavier, und mit ihm ist die einstige Rock-Band noch tiefer in den poppigen Mainstream abgerutscht. Harte Rockgitarren werden in der Schleyerhalle über weite Strecken durch eingängige Elektrobeats und Synthesizerklänge von Keyboarder Osmo Ikonen ersetzt. So wie bei „Never let you go“ oder dem zweiten Stück „Beautiful“. Getoppt werden solche Kompositionen, die sich im Fahrwasser der seinerzeit jungen Mumford & Sons bewegen, durch Songs wie dem folkig angehauchten Liebeslied „Point of no Return“ und „I help you hate me“, inhaltlich ein cooles, humorvolles Trennungslied, musikalisch aber ganz nahe am Volksschlager-Dingdong gebaut. In solchen Momenten ähnelt Haber einem finnischen Andreas Gabalier – fehlt nur noch die Krachlederne.

Dass es anders geht, beweisen Sunrise Avenue vor allem mit älteren Stücken wie „Unholy Ground“ oder „Little bit Love“. Da fahren Haber und Co. schweres Rock-Geschütz auf, dass einem Hören und Sehen vergeht – genauso wie später beim neuen „Question Marks“ mit seinen krummen Dynamik-Sprüngen, einer The Edge-Gitarre und Toten Hosen-Chören. Die wahren Höhepunkte aber heben sich Sunrise Avenue für den Schluss auf. Es beginnt mit „Afterglow“ vom aktuellen Album. Das sich anschließende psychedelische E-Gitarren-Gewitter „Forever yours“ betört die Fans dann noch mehr. Der Smashhit „Fairytale gone bad“ schließlich steckt das gitarrenorientierte Mainstream-Wunderland grandios ab. Spätestens da hat das Quartett das Bild der „finnischen Rockband“ mit lauten Gitarren und Samus nordisch-melancholischer Goldkehlchen-Stimme wieder geradegerückt. Dabei ist Samu, auch lichttechnisch, noch mehr Brenn- und Mittelpunkt als früher. Der 41-jährige Sunnyboy allein tritt, wenn auch selten, auf den ins Publikum ragenden Laufsteg, der blonde Frauenschwarm allein führt sympathisch durch das Programm und er allein singt einer Laura auch spontan ein Geburtstagsständchen zum Fünfzehnten. Die Fans schert das alles nicht. Jeder Song wird kräftig beklatscht, allzu gerne steigt das weiblich dominierte Publikum in Samus Gesangsspiele ein.

Auf „Heartbreak Century“ besiegelt die Ballade „Home“ den Schlussakkord, in der Schleyerhalle startet das von Haber inbrünstig intonierte Lied die zweigeteilte Zugabe. Für einen kurzen Moment vermittelt Samu dem Publikum das Gefühl, Stuttgart und nicht Finnland oder sein zweiter Wohnort Berlin sei sein Zuhause. Und als das Piano-Intro zur brillanten Killerhymne „Hollywood Hills“ ertönt, dem meistgespielten Radiosong 2011, erzeugt das endlich auch die berühmt-berüchtigte Haber’sche „Hühnerhaut“. Mit einem Schlag reißen Sunrise Avenue Mauern ein, die sie zuvor selbst aufgebaut haben. Als sich Samu zum Outro „What a wonderful World“ von Stuttgart innig verabschiedet, hat er tatsächlich Tränen in den Augen.