Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Die Ankündigung klang ein bisschen reißerisch: Der italienische Barockexperte und Violinist Fabio Biondi werde dem Oratorium „San Francesco di Sales“ des heute vergessenen neapolitanischen Komponisten Francesco Feo „seinen verdienten Platz in der Musikgeschichte“ zurückgeben. Klingt ein wenig nach dem Kampf eines Helden für mehr Gerechtigkeit auf dieser Welt. Das 1734 in Bologna uraufgeführte Werk war 250 Jahre lang im Riesenverdauungstrakt der Musikgeschichte verschwunden. Ob das Qualität hat, was da Biondi in einer Kirche in Venedig auf der Suche nach alten Kirchendokumenten wiederentdeckte, konnte man in einem Sonderkonzert der Stunde der Kirchenmusik in der locker gefüllten Stuttgarter Stiftskirche überprüfen. Dort führte Biondi das Werk mit dem Stuttgarter Kammerorchester (SKO) und Gesangssolisten auf.

Inhaltlich ist dieses Vier-Personen-Oratorium durchaus starker Tobak: Neben dem Heiligen Franz von Sales, der auch im echten Leben als Gegenreformator die calvinistisch „entgleisten“ Menschen im Chablais am Genfer See wieder in die Arme des Katholizismus zurücktrieb, treten sein begleitender Engel auf, der ihn bei seinem Kampf gegen diese „Abtrünnigen“ stärken soll. Dem stehen zwei Allegorien gegenüber: Der „Betrug“ und seine Tochter, die vermeintliche „Ketzerei“. Beide sind selbstredend die Feinde des heiligen Franz.

Der tödliche Pfeil Gottes

Argumentiert wird nicht zwischen den Parteien, dafür die Lage bedauert, gedroht und sich gegenseitig beschimpft. Engel zum „Betrug“: „Um dich Übermütigen zu strafen, schwebt der tödliche Pfeil schon auf dem Bogen der gerechten Rache des gereizten Gottes.“ Kommt einem bekannt vor in Zeiten wie diesen. Nach zweieinhalb Stunden Battle-Singen gibt die nicht engelgeschützte Seite auf. Interessant ist: Es könnte auch eine barocke Opera seria sein, die da in der Stiftskirche erklang, also weltliche Musik. Die dort üblichen Paare Secco-Rezitativ und virtuose Da-Capo-Arie reihen sich schier endlos aneinander; freiere Formen oder große Chöre, die für Abwechslung sorgen würden, fehlen. Die beiden kurzen Schlusschöre der zwei Teile werden von den vier Solisten übernommen. So langweilt die formale Starre auf die Dauer.

Die Interpretation aber nicht: Fabio Biondi ist ein Charismatiker, der mitreißt. Er verwandelt die Partitur, die rar ist an Angaben zu Tempo, Dynamik und Agogik, in äußerst lebendige, oft rasant vorwärtspreschende Musik. Trotz barocker enger Wort-Ton-Beziehung: Gerade im Orchesterpart hat Feo Neues zu bieten. Er stand für eine Stilwende im Barock: weniger Kontrapunkt, dafür eine fließende, lyrische Melodik und befreiter Bass. Dass das SKO kein historisch besetztes Ensemble ist, fällt da gar nicht so auf. Höchstens die Klangfarben der modernen Ventilhörner fallen ein bisschen aus dem Rahmen. Die Streicher dagegen: transparent, luftig, pulsierend, plastisch, mit kraftvollem rhythmischen Drive, Crescendo-Atmen, detailliert ausgearbeiteten Lautstärke- und Tempo-Änderungen.

Großer emotionaler Einsatz

Auch schön gesungen wird an diesem Abend, wobei die „Ketzer“-Seite deutlich mehr Volumen und Kraft zeigt. Altistin Delphine Galou als Heiliger Franz singt mit angenehmem Timbre und geschmeidiger Linienführung, wenn auch im tiefen Bereich etwas matt. Sopran Monica Piccinini als Engel bewältigt die krassen Koloraturen ihrer Arien genau und ausdrucksvoll dank bewundernswert langem Atem. Sopran Roberta Mameli zeigt als „Ketzerei“ großen emotionalen Einsatz, trotzdem immer klar und rein im Ton: Da knallen die Töne wie Trompetenstöße. Und Luca Tittoto als „Betrug“ steht ihr mit sicherer, ebenfalls sehr kräftiger Stimme zur Seite. Resümee: Wiederbelebung gelungen, Inhalt: fragwürdig, Musik: schön.