Lebendiger denn je: The Hooters mit den Gitarristen John Lilley und Eric Bazilian sowie Bassist Fran Smith Jr. (von links). Foto: Thilo Ortmann Quelle: Unbekannt

Von Ingo Weiß

Winterbach - Des einen Leid, des anderen Freud. Weil die US-amerikanische Rockband Kansas aus Sicherheitsbedenken alle Europa-Konzerte abgesagt hat, sind kurzfristig The Hooters beim Zeltspektakel in Winterbach eingesprungen - und eigens dafür aus USA eingeflogen. Einen besseren Glücksgriff hätte die veranstaltende Kulturinitiative nicht tun können. Denn die Band setzte noch einmal ein riesiges Ausrufezeichen.

Unerwartet war das nicht. Die Hooters aus Philadelphia sind seit jeher als mitreißende Live-Band bekannt. Obwohl schon 1980 gegründet, sind sie heute lebendiger denn je. Wie zum Beweis eröffnen sie ihr Gastspiel nach dem Intro „Eve of Destruction“, dem Barry McGuire-Cover, mit dem Rocksong „I’m alive“ von ihrem sechsten Album „Time stand still“ (2007).

Ihrer Zeit 30 Jahre voraus

Aber das weitaus größere Statement ist, wie brillant die Indie-Band heute noch klingt. Wie sie ihrer Zeit im Grunde 30 Jahre voraus war und wie erfrischend und wuchtig die alten Hits heute noch tosen. 105 Minuten lang zelebrieren die US-Amerikaner enthusiastisch und überaus kurzweilig eine beeindruckend rasante Show. Die Kraft, die die Gründer Eric Bazilian (64) an der Gitarre und Keyboarder Rob Hyman (67) ausstrahlen, ist umwerfend. Die lustvolle Zeitreise zurück in die 80er-Jahre ist dramaturgisch perfekt aufgebaut, die Hits bestens platziert an strategisch wichtigen Punkten und dazwischen, hervorragend im Timing, die Füller. Wenn man von Füllern überhaupt sprechen kann.

Das energetische, überschwängliche „Day by Day“ von 1985, ihr größter Hit, kommt schon an dritter Stelle. „All you Zombies“ von 1983, intensiv, fast gespenstisch im giftgrünen Schummerlicht dahingefegt, gleich dahinter. Es ist ihr bis heute bester Song. Die zeitlose Mischung aus Folkrock, Power-Pop, Ska und immer wieder auftauchenden Reggae-Elementen ist fantastisch, auch die weiteren Songs sind gekennzeichnet von extremer Ohrwurmqualität. Selbst die weniger bekannten sind grandiose Kleinkunstwerke. „Graveyard Waltz“ zum Beispiel, von Hyman am Piano gespielt, oder die exzellente, zärtlich-liebliche Ballade „Where do the Children go“, der berührendste Song des Abends.

Sogar Covers machen sie sich an diesem Abend zu eigen. „Hooterize“ nennt Multiinstrumentalist Bazilian das. Das wunderbar brüchige, voller Bedauern gesungene „The Boys of Summer“ steht dem Original von Eagles-Mann Don Henley in nichts nach. „500 Miles“, die von politischem Widerstand, Freiheit und Heimkehr handelnde Lagerfeuerhymne von Peter, Paul and Mary, ist heute im Grunde nur noch bekannt in der Version der Hooters. Auch „Lucy in the Sky with Diamonds“ verfremden sie derart gekonnt, dass es als Beatles-Klassiker fast nicht mehr durchgeht. Was nicht allein am formidablen mehrstimmigen Gesang liegt, sondern auch an der reichhaltigen Instrumentierung. Wenn Mandoline, rote Melodica, Akkordeon, Saxophon und Tröte zum Einsatz kommen, jene Instrumente, die oft das Tempo aus den süffigen Pop- und Folkklängen nehmen, machen gerade sie die Songs einzigartig.

Hymnen einer Generation

Richtige Hymnen einer ganzen Generation sind deshalb auch „25 Hours a day“, „Satellite“ und „Johnny B“, deren Betriebserlaubnis offenbar nie abläuft und bei denen die Fans ebenfalls große Regung nebst Bewegung zeigen. Je später der Abend, umso begeisternder singen sie mit, tanzen, wiegen sich oder springen gar im Takt. Die Lieder sind live um einiges rockiger, druckvoller und emotionaler als in den Studiofassungen und gehen teilweise brillant ineinander über. Das Sextett wiederum tritt unprätenziös auf, fast kumpelhaft, sucht den Publikumskontakt, wann immer es geht. Glanzlichter setzen die Hooters zudem mit dem irischen Folkklassiker „Karla with a K“ und dem ebenfalls keltisch angehauchten Gassenhauer „And we danced“, mit dem sie das reguläre Set beenden. Wie ein Bollwerk stehen auch hier alle vier Gitarristen vorne an der Bühnenrampe und feuern ihre Breitseiten ins Publikum wie Kanonenbatterien auf Piratenschiffen. Wären die Songs von Mumford and Sons geschrieben, die Hits würden durch die Decke gehen. So fragt man sich nur kopfschüttelnd, warum die vor Spielfreude sprühenden Hooters nicht eine größere Nummer im Musikzirkus geworden sind.

Den Zugabenblock leitet das melodramatische „Give the Music back“ ein, dessen Titel das Thema des Abends sein könnte. Das außergewöhnlich gespielte „One of us“, das Bazilian Sängerkollegin Joan Osborne 1995 auf den Leib geschrieben hat, unterlegt er sensibel mit einigen Strophen auf Deutsch. Leider fällt „Time after Time“, das Hyman mit Cyndi Lauper komponierte, wegen der fortgeschrittenen Zeit der Schere zum Opfer. Bei Peter Schillings „Major Tom (Völlig losgelöst)“ gibt es Schlag Mitternacht aber kein Halten mehr. Bazilian spielt augenzwinkernd und furios die Mandoline, er singt deutsch, die Fans sind im rotierenden Scheinwerferlicht völlig schwerelos entrückt: perfekte Konzert-Magie.