Ein gebrochener, alter König, eingeschlossen in einem Abstellraum Foto: Regina Brocke - Regina Brocke

Egon Madsen zeigt im Stuttgarter Theaterhaus Shakespeares König Lear als eine Beckett’sche Figur, in einer Konstellation, die Christian Spucks Erfolgsstück „Don Q.“ sehr ähnelt.

StuttgartKann jemand sagen, wer ich bin?“, fragt der alte Mann. Fragt sich selbst, den leeren Raum, die Stimmen, die er ständig hört. Wie wurde der König zum Narr?

Egon Madsen zeigt uns im Stuttgarter Theaterhaus Shakespeares König Lear als eine Beckett’sche Figur, in einer Konstellation, die Christian Spucks Erfolgsstück „Don Q.“ sehr ähnelt. Dort hatte Madsen als alternder Don Quijote noch Eric Gauthiers quirlig-besorgten Sancho Pansa neben sich – hier nun ist er ganz allein, eingeschlossen in einem Abstellraum der Erinnerungen zwischen Holzkisten und den Königsinsignien der verlorenen Macht.

Man hat dem alten Mann seinen Thron gelassen, ein riesiges Möbel aus dunklem Holz, das zum Schlafplatz, zum Rückzugsort und zur Herausforderung wird. Dort fläzt er halbnackt wie ein Penner, dort findet er seine alten Schuhe, dort reitet er auf der hohen Lehne mit wehendem Hausmantel in den Krieg, ein Bild vergangener Pracht. Aus den alten Tonbandgeräten, die überall herumstehen, erklingen immer wieder die Stimmen von Lears Töchtern, den beiden niederträchtigen und der einen guten, die er so ungerecht verstoßen hat. Er beschimpft sie noch einmal als Kröten und Geschwür, erlebt noch einmal „meines Kindes Undank“, realisiert seine Einsamkeit, seinen Wahn.

Einsamkeit und Identitätsverlust

Hier kreuzt sich die alte Shakespeare-Tragödie mit Samuel Becketts „Das letzte Band“ („Krapp’s Last Tape“), wo sich ein alternder, grotesker Schriftsteller auf einem Tonband immer wieder entscheidende Stellen seines Lebens vorspielt – um den Punkt zu finden, wo er glücklich war, wo er noch Illusionen hatte und wo sie dann kaputtgingen.

Im Theaterhaus wiederholt sich auch die Musik in Schleifen, wild-stürmische Ausschnitte von Ralph Vaughan Williams und ein Choral von Thomas Tallis. Tanztheater möchte man es kaum nennen, was der italienische Choreograf Mauro Bigonzetti gemeinsam mit dem ehemaligen Ballettstar und sich immer wieder neu erfindenden Tanzschauspieler Egon Madsen in einer einstündigen Collage aus Weltliteratur und dem vergangenen Ballettruhm des Hauptdarstellers übereinanderblendet.

78 Jahre alt wird Madsen im Sommer, noch immer lieben ihn die Stuttgarter, weil er selbst aus gestenreichem Minimalismus ein Ereignis macht. Mit seiner weißgelockten Löwenmähne, mit dem prachtvollen Hausmantel und der Pappkrone ist er wirklich ein stattlicher alter König, gebrochen und in Selbsterkenntnis zum Narren geworden. Shakespeare und Beckett, die Themen Einsamkeit, Alter und Identitätsverlust spiegelt Bigonzetti dann in ein paar Fetzen früherer Bühnenpracht, wenn sein Hauptdarsteller auf dem Thron stehend die verblassenden Geister von Ballettposen zelebriert.

Hier mischt sich Egon Madsen mit König Lear, die Worte „Du kommst nicht wieder“ gelten der toten Tochter wie der ruhmvollen Tänzervergangenheit. Die Pappkrone wird zur Handschelle: An Madsen ist wirklich ein Schauspieler verlorengegangen, er deklamiert die Shakespeare-Verse bitter und majestätisch, nur leider mit diesem kleinen dänischen Akzent.

Im Ballett, damals bei John Cranko, lachten seine Narren irgendwann unter Tränen und akzeptierten diese Welt als Irrenhaus. Hier strandet Lear mit großer Tragik am Fuße seines Throns – ein wenig vermisst man den Trost, den weisen Humor des Narren, mit dem Madsen das Elend früher weglächelte.

Weitere Vorstellungen: 22. bis 25. Januar sowie 6. bis 8. März.

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