Die Höhle „Hohle Fels“ in Schelklingen gehört zu den sechs Höhlen auf der Schwäbischen Alb, die zum Weltkulturerbe erklärt werden könnten. Fotos: dpa Quelle: Unbekannt

„Aber auf dieser Seite der Donau wurden sie zu Menschen mit Kultur, die Kunstwerke schufen.“ „Die Aufnahme in die Welterbeliste würde helfen, diese Schätze noch mehr Menschen nahezubringen.“

Von Thomas Burmeister

Ulm/Tübingen/Krakau - Wenn Nicholas Conard erzählt, scheint sich die Welt ringsherum in einen Fantasy-Film zu verwandeln. Mammuts wühlen mit gigantischen Stoßzähnen das Gras auf. Löwen jagen Steppenbisons, mit Fellen bekleidete Jäger pirschen sich an Riesenhirsche heran. „Bis dahin reichte das Gletschereis der Alpen, es war unglaublich kalt“, sagt Professor Conard. Der Leiter des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität Tübingen zeigt mit ausgestreckten Armen über Hügel der Schwäbischen Alb hinweg gen Süden. „Aber wo wir jetzt stehen, auf dieser Seite der Donau, war es warm genug für unseren Vorfahren. Hier wurden sie zu Menschen mit Kultur, die Kunstwerke schufen.“

Etliche Belege dafür sind in den Höhlen der Region zwischen Ulm, Blaubeuren und Heidenheim entdeckt worden. Die sechs bedeutendsten „Höhlen der ältesten Eiszeitkunst“ könnten bei einem Treffen der Kulturorganisation Unesco vom 2. bis 12. Juli in Krakau zum Weltkulturerbe der Menschheit erklärt werden.

Wer die Höhlen besucht, begibt sich auf eine Tour zurück in eine Zeit, da der anatomisch moderne Mensch, der Homo sapiens sapiens, den Neandertaler abgelöst hatte und sich aufmachte, Kunstwerke, Schmuck sowie Musikinstrumente zu schaffen. Seit sich Forscher Mitte des 19. Jahrhunderts in der Alb ans Graben machten, förderten sie etliche Zeugnisse eines menschlichen Wirkens zu Tage, das vor rund 40 000 Jahren erstmals klar über Verrichtungen zur Lebens- und Arterhaltung hinausging: Flöten aus Vogelknochen, Tier- und Menschenfiguren aus Mammutelfenbein.

In der Altsteinzeit hat sich der anatomisch moderne Mensch in Europa ausgebreitet. „Die Zeit war geprägt von technischen wie kulturellen Neuerungen“, sagt der aus Cincinnati im US-Bundesstaat Ohio stammende Conard. Seit Jahren wirkt der Archäologe in Tübingen. Seit 1995 ist er zudem wissenschaftlicher Direktor des Urgeschichtlichen Museums in Blaubeuren.

Eiszeitmenschen bauten Speerschleudern, mit denen sie aus halbwegs sicherer Distanz Großtiere jagen konnten. Auch steinerne Nähnadeln wurden erfunden. Kunstwerke in Museen zeugen vom Tierreichtum vor Jahrtausenden, der teils an afrikanische Savannen denken lässt: Mammuts, Hirsche, Löwen, gigantische Bären, die von Menschen aus Höhlen vertrieben oder im Winterschlaf erschlagen werden. Es gab Wildpferde und Rentiere in den eiszeitlichen Landschaften Europas. Auch Moschusochsen und Antilopen, sogar das Wollnashorn gehörte zu den Bewohnern der Mammutsteppe.

Tierknochen, die das belegen, sind in Massen gefunden worden. „Doch kulturhistorisch weit bedeutsamer sind die Kunstwerke aus dieser Zeit“, sagt Sibylle Wolf von der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. Die Archäologin gilt als Koryphäe für Mammut-Elfenbein. Maßgeblich beteiligt war sie an der jüngsten Restauration des „Löwenmenschen“, der im Ulmer Museum als eine der beiden berühmtesten Eiszeitkunst-Figuren zu bewundern ist.

Der „Löwenmensch“, in etlichen Elfenbein-Bruchstücken über viele Jahre hinweg aus dem Hohlenstein bei Hohenstein-Asselfingen (Alb-Donau-Kreis) geborgen wurde, ist nicht nur bemerkenswert, weil er mit 31 Zentimetern weit größer ist als alle anderen Eiszeitfiguren. Als Mischwesen zwischen einem aufrecht stehenden Menschen und einem Löwen zeugt er davon, dass sich Eiszeitmenschen mit mythischen Glaubensvorstellungen beschäftigen. Lange galt die Statuette als geschlechtsneutral oder weiblich - bis sich weitere Teile fanden, die zum Bereich zwischen den Beinen passten. „Da war dann klar, dass der Löwenmensch ein Mann ist“, sagt Wolf.

Als weltweit älteste Frauenfigur gilt die „Venus vom Hohle Fels“. Entdeckt wurde die rund 40 000 Jahre alte Dame mit den enormen Brüsten 2008 bei Grabungen in der Hohlefels-Höhle unter Leitung von Conard. Obwohl nur sechs Zentimeter groß, ist sie das Prunkstück des Museums in Blaubeuren.

„Venus““ und „Löwenmensch“, dazu aus Stoßzähnen gefertigte Miniaturen von Wildpferden, Mammuts, Löwen, Bären und Vögeln sowie Flöten aus Vogelknochen - sie alle sind nicht nur Zeugnisse einer besonders wichtigen Phase der Menschheitsentwicklung. Sie sind auch Hoffnungsträger eines wichtigen Wirtschaftszweiges der Albregion: Allein schon der Antrag Deutschlands, Fundstätten der Eiszeitkunst in die Liste des Weltkulturerbes aufzunehmen, hat dem Tourismus einen Schub beschert. Entsprechend hoch sind die mit dem Unesco-Siegel verbundenen Erwartungen.

Dass der Antrag durchkommt, glauben Conard und seine Mitstreiter von der Universität Tübingen ganz fest. „Es geht um Fundorte mit Hinterlassenschaften, die uns als moderne Menschen ausmachen“, sagt Sibylle Wolf. „Die Unesco wird zustimmen, denn der Mensch sollte seine eigene Kultur, ihren Beginn und ihre Ursprünge kennen und schätzen. Die Aufnahme in die Welterbeliste würde helfen, diese Schätze noch mehr Menschen nahezubringen.“

Welterbestätten

Die Liste der Welterbestätten der Unesco umfasst mehr als 1000 Natur- und Kulturstätten weltweit. Deutschland ist bislang mit 41 Welterbestätten vertreten. Vor der Entscheidung über die Aufnahme werden unter anderem die Einzigartigkeit und die historische Echtheit der Stätten geprüft. Ein Komitee geht dabei anhand von zehn Kriterien vor.

So kann eine Bewerberstätte ein Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft darstellen. Berücksichtigt werden auch hervorragende Beispiele für Gebäudetypen, architektonische Ensembles oder Landschaften, die einen oder mehrere bedeutsame Abschnitte der Menschheitsgeschichte versinnbildlichen - dazu könnten durchaus die Höhlen der ältesten Eiszeitkunst auf der Schwäbischen Alb gezählt werden.

In Deutschland gehören etwa der Dom in Speyer, die Klosteranlage Maulbronn oder Rathaus und Roland in Bremen zum Welterbe. Die Kultusministerkonferenz führt eine Vorschlagsliste für künftige Nominierungen. Über das Außenministerium werden deutsche Vorschläge an das Unesco-Welterbezentrum in Paris weitergeleitet.

Die Entscheidung trifft das Unesco-Welterbekomitee, dessen nächste Sitzung vom 2. bis 12. Juli in Krakau stattfindet.