Mit Bewegungsdrang: Matt Berninger in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Julian Rettig - Lichtgut/Julian Rettig

„I’m easy to find“, das jüngste Album der New Yorker Rockband The National, klingt mit seinen arrangierten Anti-Hits nach Langeweile. Darunter litt auch das Konzert in der Porsche-Arena.

StuttgartWas, wenn es Zusammenhänge gibt zwischen Qualitäten eines neuen Albums und der Performance auf einer sich anschließenden Tour? Was also passiert, wenn eine Band wie The National, die eine Institution des US-Indierock sind und in ihrer Heimat für ihre theatralischen Konzerte geliebt werden, mit dem Album „I’m easy to find“ im Gepäck touren, dem entschieden schwächsten Werk seit 15 Jahren? Kann das 1999 in Brooklyn, New York, gegründete Quintett, das den Ruf als die beste White-Collar-Rockband weg hat, trotzdem live reüssieren?

„I’m easy to find“ ist wahrlich kein schlechtes Werk. Aber die meisten der komplex arrangierten Anti-Hits hören sich langweilig und repetitiv an. Das achte Album der Band zeichnet sich durch ähnlich viele Längen, mangelnde Ideen und Zerfaserung aus wie das Konzert in der Stuttgarter Porsche-Arena - womit die Eingangsfrage im Grunde beantwortet ist. The National scheitern auf halber Linie, ihre durchaus vorhandene Feinfühligkeit zu transportieren. Die Fans scheinen es geahnt zu haben, die Arena ist nicht mal halb voll. Dabei klingt der Abend auf dem Papier und wegen vorauseilender Vorschusslorbeeren wie ein Sommernachtstraum: Schwelgende, raffinierte Klanggebilde hier, unendlich Dichte und Bandbreite an Sounds dort. Tatsächlich jedoch ist es ein Konzert für einen dunklen, kalten Winterabend, das einen mehr frösteln lässt als dass es wärmt.

Einer Band kann man normalerweise nichts vorwerfen, wenn sie auf einer Tour neues Material spielt. Aber acht Songs des neuen Albums, die hauptsächlich im ersten Drittel gelistet sind, sind in diesem Falle einfach zu viele. Songs wie „Quiet Light“ oder „Hey Rosey“ sind auch live sehr sperrig und sprunghaft, die komplizierten Arrangements wirken mit ihrer melancholischen Schwermut eher depressiv und stimmungstötend. Der Funke springt jedenfalls so gut wie nie auf die knapp 3.000 Fans über. Doch für jeden niederschmetternden, pulsierenden Tiefschlag wie dem Titeltrack „I’m easy to find“, der live genauso wenig funktioniert wie auf Platte, gibt es einen erstaunlichen konzertanten Moment, in dem sich ein breitwandig inszeniertes Minidrama voll von Schönheiten entfaltet. Solche Sequenzen sind vor allem den alten Klassikern vorenthalten: dem fast hymnischen „Bloodbuzz Ohio“, einem ihrer größten Hits, oder der schönen Ballade „Terrible Love“, mit der The National ihre ganze Klasse ausbreiten.

Die New Yorker, die insgesamt zu zehnt auf der Bühne stehen, sind im Übrigen immer dann am besten, wenn sie leise und schön traurig, aber sehr luxuriös instrumentiert daherkommen wie beim ungemein melodischen „Carin at the Liquor Store“. Wenn subtile Gitarren und technoide Synthesizer-Klänge auf ein fulminantes, auf Motorik-Beats aufbauendes Schlagzeugspiel treffen wie bei „I need my Girl“.

So ist man fasziniert und abgestoßen zugleich. Denn Stücke wie das vertrackt rhythmische „Day I die“ oder das schrille „Mr. November“, in denen Sänger Matt Berninger sein Leid regelrecht hinausschreit, sind einfach nur schrecklich und erinnern an einen ungenießbaren Mischmasch aus Roxy Music, Pink Floyd, Leonard Cohen und David Bowie. Eingebettet in einen überwiegend breiigen, unausgegorenen Sound und eine überwiegend dunkel gehaltene, die melancholische Schwermut unterstreichende Lightshow, vergrößert das zusätzlich die Distanz zwischen Band und Publikum. Wie in der Nacht entgegenkommende Autoscheinwerfer blenden die ätherisch-verquasten Songs kurz auf und verschwinden dann ganz schnell in der Dunkelheit des Rückspiegels.

Frontmann Berninger tut so gut wie nichts dazu, die Distanz zu überbrücken. Der Hüne mit Nerd-Brille läuft zwar mehrmals durchs Publikum, aber die Emotionen wirken aufgesetzt, der vermeintliche Seelenstriptease unausgegoren. Auf der Bühne irrlichtert der skurrile, viel Bier trinkende Typ ebenfalls herum, sein klagender Bariton changiert zwischen krächzendem Kreischen und grüblerischem Gemurmel. Meistens macht sich schmerzhafte Befremdung breit, hört man ihm, seinem Schwermut und seinen Selbstzweifeln zu.

Früher erzählte er wenigstens schöne Geschichten zwischen den Songs, heute ist er nicht mal mehr witzig. Dass das Konzert trotzdem seine guten Zeiten hat liegt an den musikalischen Fähigkeiten der Mitstreiter, die zwar in sich versunken über ihren Instrumenten brüten, aber immer wieder beeindruckende Klangszenarien erschaffen. Bei allen Abstrichen an Gesang und Show, der klirrenden Glorie vom ungemein rockenden „The System only dreams in total Darkness“ oder der gebrochenen, bläsergestützten Hymne „Fake Empire“ kann man sich nur schwer entziehen. Die beiden Backgroundsängerinnen müssen vom Lob allerdings ausgenommen werden. Sie stehen bühnenmittig rum wie Falschgeld, sind unnötige Staffage, ihre Stimmen wie bei „Where is her head“ viel zu dünn. Berninger bleibt stets das Zentrum des Ganzen, auch wenn er sich in die Schatten zurückzieht.

Jegliche vorhergehende Trägheit wird im Zugabenteil aufgehoben. Nach mitreißenden Versionen von „Mr. November“ und „Terrible Love“ versammelt sich die Band für das düster-schöne „About today“, um danach fast schon traditionell das Konzert mit einer andächtig intonierten A cappella-Version von „Vanderlyle Crybaby Geeks“ zu beschließen. Ein ganz intimer Moment, vielleicht der allerschönste in den zurückliegenden 130 Minuten. Das Publikum hört auch dem 23. Song nur aufmerksam zu, anstatt zu Akustikgitarren und Tamburin mitzusingen. Der Beifall ist herzlich, aber reserviert.