Temperament statt Sterilität: Hans-Christoph Rademann dirigiert die Gaechinger Cantorey Foto: Holger Schneider - Holger Schneider

Bachakademie-Chef Hans-Christoph Rademann und die Gaechinger Cantorey stellen beim Stuttgarter Musikfest ihre kantig-expressive statt nur geschmeidig-elegante Sicht auf Bach vor.

StuttgartTeufel aber auch! Was soll denn das heißen? „Gott schickt uns Mahanaim zu.“ Wen? Oder was? Fällt das Zeug unters Betäubungsmittelgesetz? Das Programmheft schweigt sich dazu aus, Bach-Cracks greifen zu ihrer musikwissenschaftlichen Handbibliothek, für alle anderen werden in schöner Paradoxie dank Internet sogar die barocken Kantatentexte wieder verständlich. Kurzum: Die Schutzengeltruppen lässt Johann Sebastian Bach mit dem hebräischen Rätselwort aufmarschieren – gegen Satan und seine Hell’s Angels, die soeben von Erzengel Michael aus dem Himmel geworfen wurden. Denn davon handelt des Meisters Kantate „Es erhub sich ein Streit“: vom Sieg über den rebellischen Lichtengel, der samt seinen Scharen als Teufel zur finsteren Hölle fährt. Die vor oder nach aller Zeit spielende biblische Legende wird in barocker Deutungstradition als Gut-Böse-Dialektik vergegenwärtigt: Den besiegten, aber immer noch verfänglichen Höllenmächten tritt der himmlische Beistand entgegen. Dass aber dessen Engelston verteufelt schwer zu singen ist, war in besagter „Mahanaim“-Arie bei der Sopranistin Lenneke Ruiten entlarvend deutlich zu hören: Auf den (Engels-)Flügeln von Bachs melismatisch beschwingtem Gesang zeichnete sie unscharfe Figuren und Konturen ins Oboen d’amore-Duo, uneinheitlich zudem in ihrem teils kehlig verhärteten, in der Höhe nicht gluckerfreien Timbre.

Sonst gibt’s freilich (fast) nichts zu meckern über das gloriose Auftaktkonzert der Reihe „Sichten auf Bach“ im Mozartsaal. Fulminant stellte Bachakademie-Chef Hans-Christoph Rademann im Eröffnungschor der Kantate seine Sicht vor, die kantig-expressiv statt nur geschmeidig-elegant ist, ohne deswegen in der grobmotorischen Rumpelkammer zu landen: Wie gemeißelt klangen die Fugeneinsätze, wie in einem klingenden Schlachtgemälde jagten sich die kämpferisch bewegten Tumultmotive dieser chorischen „Symphony for the Devil“, die „Satans Grausamkeit“ mit Pauken und Trompeten und schwindelerregender Chromatik in den Abgrund stürzt.

Auch in „Man singet mit Freuden vom Sieg“, einer weiteren Michaelis-Kantate Bachs, lauschte man mit staunenden Ohren, welches Niveau Rademanns Stuttgarter Bach-Stil mit schlank besetztem Chor und handverlesenen Originalklang-Experten im Orchester – beides als „Gaechinger Cantorey“ firmierend – inzwischen erreicht hat. Beweglich und hochtransparent der erste Chorsatz, prägnant durchgestaltet im Detail, markig skandierend in mottoartigen Wendungen: Temperament statt Sterilität zieht hier ihre Trümpfe, auch im prächtig dynamisierten Schlusschoral mit seiner Trompeten-Apotheose in den Schlusstakten. Zu den vielen instrumentalen Feinheiten zählt Dora Kiralys wunderbar knackiges Fagott-Solo, ebenso Michaela Hasselts Orgel-Virtuosität in der Sinfonia zu „Gott soll allein mein Herze haben“, einer Solokantate für Alt mit Anke Vondung als überragender Sängerin. Sie traf mit exakter Artikulation und expressivem Wohlklang die Intensität des Siciliano-Totentanzes „Stirb in mir, Welt“ ebenso wie das bekenntnishafte Pathos des ganzen Werks. In der Bass-Kantate „Der Friede sei mit dir“ legte Peter Harvey eindrucksvoll Zeugnis ab vom Tonfall ruhiger und doch emphatischer Glaubensgewissheit, Würde und Kraft ließ er auch in seinen übrigen Soli hören. Tenor Nicholas Mulroy balsamierte seine Parts in wohligen Belcanto, klang damit aber in der Arie „Bleibt ihr Engel“ aus der „Streit“-Kantate zu einförmig, hob das bewegende vokale Melos zu wenig ab vom statischen Glanz des Trompeten-Chorals.