Das Stuttgarter Opernhaus glänzt, muss aber dringend saniert werden . Foto: dpa - dpa

Marc-Oliver Hendriks, Geschäftsführender Intendant der Staatstheater Stuttgarter, spricht über die geplante Sanierung des Opernhauses und warnt vor Verzögerungen.

StuttgartDas Staatstheater-Areal in Stuttgart mit dem Opernhaus als Zentrum soll saniert und erweitert werden. Land und Stadt demonstrierten jüngst den Schulterschluss für das „Jahrhundertprojekt“. Aktuell aber gibt es neue Zweifel. Auch im Staatstheater selbst?

Herr Hendriks, Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn verkündeten jüngst gemeinsam, die Sanierung und Erweiterung des Opernhauses Stuttgart werde kommen. Inzwischen aber sind dunkle Wolken aufgezogen – Meinungen über den richtigen Weg prallen öffentlich aufeinander. Wie fühlen Sie sich da?
Dieser gemeinsame Auftritt war ein ganz wichtiges Zeichen für die Sanierung der Oper. Wir sind insbesondere dem Herrn Ministerpräsidenten ausgesprochen dankbar für dieses so klare Bekenntnis in der Sache. Im Übrigen hatten wir vergangene Woche in Stuttgart auch herrlichen Sonnenschein und sommerliche Temperaturen.

Und am Freitag hat der Blitz eingeschlagen – mit einer Absage von Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn an das Paketpostamt als bisher von Stadt und Land gemeinsam vorgestellte Ausweichspielstätte.
Blitz oder Theaterdonner, das weiß ich noch nicht. Wir sind von der aktuellen Entwicklung jedenfalls überrascht worden. Über das Weitere werden wir nun am Freitag im Verwaltungsrat der Staatstheater sprechen; das ist der dafür angemessene Ort.

Positiv gesehen wagte OB Kuhn vorab im Alleingang einen Warnruf in der Kostenfrage. Könnte man aber nicht auch von einem taktischen Foul sprechen? Etwa, um das Land in Zugzwang zu bringen, beim Interim über die anteilige Finanzierung von 50 zu 50 hinauszugehen?
Die Staatstheater sind nicht der richtige Adressat für diese Frage.

Als Geschäftsführender Intendant der Staatstheater sollen Sie den drei künstlerischen Intendanten und mehr als 1350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Weg in ein zukunftsgerechtes Theater-Areal sichern. Wie sehr schadet da der Streit um die Sache?
Die traurige bauliche und technische Situation des Opernhauses ist mittlerweile ein öffentlicher Gemeinplatz. Der entschlossene Wille, den dahinterstehenden gewaltigen Sanierungsstau aufzulösen, ist Grundlage des Kabinettsbeschlusses der Landesregierung und des gemeinsamen Vorgehens von Land und Stadt als Träger der Staatstheater. Den damit vorgegebenen Weg wollen wir mit aller Kraft gemeinsam gehen. Das ist unser Ziel, und dafür setzen wir uns jederzeit ein.

Dieser Weg führt über eine Ausweichspielstätte für absehbar fünf Jahre für die Oper Stuttgart und das Stuttgarter Ballett. Dem gewählten Standort hat Stuttgarts OB eine Absage erteilt. Sie halten am Paketpostamt fest?
Ohne Interim keine Sanierung! Denn wir werden das Opernhaus für längere Zeit schließen müssen. Mit dem Paketpostamt wäre ein höchst geeigneter Standort gefunden. Räumlich und auch von der Lage her betrachtet. Die Anforderungen an das Interim orientieren sich an der Zahl unserer Besucher und der betroffenen Mitarbeiter. Bitte vergessen Sie nicht: Wir sind der drittgrößte Theaterbetrieb der Welt. Der Suchlauf war nicht einfach und auch etwas langwierig. Wir sind nach der letzten Verwaltungsratssitzung dann sofort an die Arbeit gegangen. Die Oper beispielsweise plant dort im Herbst dieses Jahres bereits ein erstes künstlerisches Projekt.

Land und Stadt haben es in Sachen Staatstheater-Sanierung wiederholt abgelehnt, exakte Zahlen zu nennen. Der „Fluch der ersten Zahl“ trifft das Gesamtprojekt nun aber schon im ersten Schritt – aus einer Schätzung von 57 Millionen Euro wurden in der eigentlichen Berechnung für das Interim 116 Millionen Euro. Erschreckt Sie die Zahl nicht?
Die Anforderungen an das Interim wurden im Vorfeld auf das Wesentliche reduziert. Unser Bedarf wurde von einem externen Gutachter überprüft und für angemessen befunden. Die Kosten sind ebenfalls extern und sehr seriös ermittelt. Sie sind auch realistisch und bewegen sich absolut in der Größenordnung vergleichbarer anderer Sanierungsprojekte. Insofern bin ich nicht überrascht.

Plötzlich wird auch eine Nachnutzung ein Thema.
Die fehlende Nachnutzungsmöglichkeit war allen Beteiligten von vornherein bekannt. Andere alternative Standorte werden auch nicht zwingend kostengünstiger sein; eher ist das Gegenteil zu erwarten. Und was dann?

Hier und da ertönt schon der Ruf nach einem Neubau des Opernhauses. Wie wichtig ist Ihnen eigentlich das historische Opernhaus?
Das Opernhaus von Max Littmann gehört zur DNS der Württembergischen Staatstheater. Es ist seit nunmehr 106 Jahren für die Stadt und das Land identitätsstiftend und die zentrale Heimstatt des Stuttgarter Balletts und der Staatsoper Stuttgart. Unsere künstlerische Exzellenz ist mit diesem Haus auf das Engste verknüpft. Dazu trägt Max Littmanns Grundidee zentraler Produktionswerkstätten zwischen den zwei Bühnen des Großen und Kleinen Hauses entscheidend bei. Ein genialer Gedanke, der uns bis heute einen enormen Wettbewerbsvorteil verschafft! Wir wollen und werden das Opernhaus daher auch in Zukunft bespielen. Der Littmann-Bau ist der zentrale Ausgangspunkt all unserer Sanierungsüberlegungen.

Als mögliches künftiges Konzerthaus sehen Sie das Opernhaus nicht?
Max Littmann hatte die beiden Spielstätten der Staatstheater ursprünglich zur Nutzung sowohl durch das Schauspiel als auch durch die Oper und das Ballett konzipiert. Bei Opern- und Ballettvorstellungen hat sich das Große Haus relativ schnell als eines der Opernhäuser mit der weltweit besten Akustik etabliert. Davon profitieren wir künstlerisch bis heute enorm. Es ist ein ganz kostbares „Musikinstrument“. Unsere Erfahrungen bei Konzerten zeigen dagegen, dass das Raumvolumen bei größerer sinfonischer Besetzung zu gering ist. Nicht ohne Grund spielen wir die Sinfoniekonzerte des Staatsorchesters ja stets in der Liederhalle. Der Littmann-Bau ist als philharmonischer Konzertsaal für Stuttgart sicherlich ungeeignet.

Wir sind jetzt schon mitten in einer zweiten Diskussion: Die bürgerschaftliche Initiative Aufbruch Stuttgart plädiert für eine Debatte auch über die Fläche des an das Staatstheater-Areal angrenzenden Gymnasiums, der OB lehnt das scharf ab. Berührt Sie das?
Das ist eine Diskussion, welche die Staatstheater meines Wissens nicht führen. Ich beschäftige mich aktuell mit meinen Intendanten-Kollegen und in enger Abstimmung mit den verantwortlichen Persönlichkeiten von Stadt und Land mit den weiteren Schritten auf dem vereinbarten Weg zur Sanierung. Wir haben dazu auch eine eindeutige Beschlusslage in unserem Verwaltungsrat. Die Frage nach Alternativen begleitet uns ständig. Wir müssen aber den Realitäten ins Auge schauen. Die Zeit arbeitet beständig gegen uns. Wäre ich Empfänger unserer Risikoberichte, so wäre ich beunruhigt.

Und welche Diskussion führen Sie?
Wir ringen nun seit vielen Jahren um die Sanierung des Opernhauses und die Erweiterung des Staatstheater-Areals. Die Anzahl der persönlichen Führungen durch das Opernhaus kann ich gar nicht mehr zählen. Die Staatstheater haben dieses Thema immer mit großer Transparenz in die Öffentlichkeit getragen.

Vielleicht sogar zu sehr?
Die Ausgangslage ist eindeutig: Wir spielen in einem in die Jahre gekommenen Haus mit maroder Technik, bieten dem Publikum lediglich leicht modernisierten Nachkriegsstandard, nötigen die Mehrzahl unserer 1400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in höchst unzeitgemäße Arbeitsbedingungen und haben ein gewaltiges Raumdefizit. Andere Städte in Deutschland sind hier längst deutlich an uns vorbeigezogen. Das stellt mittlerweile aber auch in Stuttgart zum Glück niemand mehr ernsthaft in Abrede.

Ihr Ziel bleibt das zukunftsfähige Opernhaus. Die Rückkehr ist nach aktuellen Planungen der Sanierung frühestens 2030 möglich – bei einem Auszug 2024. Stimmt das so?
Die von den Verantwortlichen ausdrücklich als optimistisch beschriebene Zeitplanung nennt einen Beginn „nicht vor dem 31. Dezember 2023“, was für uns praktisch bedeutet: frühestens im Sommer 2024. Das gilt für den Standort Paketpostamt. Die Erfahrung hier und anderswo lehrt uns aber, nicht als erstes über Termine und Zeitpläne zu sprechen. Zunächst müssen die Bedarfe der eigentlichen Opernhaussanierung ermittelt und die Inhalte definiert werden, erst dann kann der Bauablauf entworfen werden. Ein eventueller neuer „Suchlauf“ trägt sicher nicht zur Straffung des Zeitplans bei. Er führt durch mögliche Zeitverzögerungen eher zu Kostensteigerungen des Gesamtprojekts.

Wenn Sie dies alles so klar sehen: Wie empfinden Sie da die aktuellen lauten Töne in der Debatte um die Sanierung des Opernhauses?
Man kann ein solch großes und komplexes Thema wie die Sanierung der Staatstheater meiner Überzeugung nach nur mit allen politischen Akteuren gemeinsam und im konstruktiven Dialog führen. So haben es die Staatstheater in den letzten Jahren stets gehalten. Das schließt die vielfältige und vielstimmige Stadtgesellschaft ausdrücklich mit ein. Stuttgart hat hier in den letzten Jahren eine ganz spezifische Diskussionskultur entwickelt. Ich plädiere daher für einen offenen Dialog mit allen an dem Projekt beteiligten oder interessierten Parteien. Der Verein „Aufbruch Stuttgart“ gehört auch dazu.

Das Interview führte Nikolai B. Forstbauer.

Zur Person

1970 wurde Marc-Oliver Hendriks in Duisburg geboren. Er studierte er Geschichte, Politik und Anglistik in Duisburg sowie Jura in Konstanz.

1999 wurde er Verwaltungsdirektor und stellvertretender Intendant des Theaters Nordhausen im Verbund mit dem Loh-Orchester Sondershausen.

2003 folgte der Ruf als Geschäftsführender Direktor an die Bayerische Theaterakademie August Everding im Münchner Prinzregententheater.

2009 wurde Hendriks Geschäftsführender Intendant der Staatstheater Stuttgart. Er bildet zusammen mit den drei künstlerischen Intendanten die Leitungsspitze des Dreispartenhauses (Oper, Ballett, Schauspiel).