„Battlestation“ (Ausschnitt) von Alberto Zamora Ruiz. Foto: Städt. Galerien Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Esslingen - Der Titel trügt. „It‘s happening!“ nennt der in Stuttgart lebende mexikanische Künstler Alberto Zamora Ruiz seine kleine Malerei-Schau im Esslinger Bahnwärterhaus. Aber von Happening keine Spur: Auf den meisten der Bilder geschieht nichts, und mit Aktionskunst haben die Ölfarbe-Arbeiten erst recht nichts gemein. Im Gegenteil: Es sind Fixierungen aus einer flüchtigen, virtuellen und - so das gängige Stichwort - volatilen Sphäre. Zamora Ruiz malt Computer-Hardware, Bildschirme, technische Equipments und zollt damit einer aktuellen Internet-Mode Tribut, einer Art doppelten Virtualisierung: Ins Netz gestellt werden Fotos der heimischen Computerplätze, gleichsam Selfies ohne Selbst. „Battlestations“ heißen im Netz-Jargon (und im Titel von Zamora Ruiz’ Bildern) diese Interieurs aus Kabeln, Monitoren, Tastaturen und Lichtreflexen, ursprünglich abgeleitet von den „Kampfstationen“ der gegeneinander antretenden Computerspieler.

Zamora Ruiz’ Transposition ins altmeisterliche Ölbild-Medium tilgt indes nicht nur die martialische Metaphorik, sondern verwandelt Cyber-Schnelllebigkeit in Stillleben: in User-lose Veduten der Digitalecke, dieser Mönchsklause der Nerds. Ein Bett neben dem Bildschirm, Bücherstapel, Gläser oder auch eine Pillenschachtel stehen mit leichter Messie-Anmutung für Spuren abwesenden Lebens. Und was einst auf den Bildern des Genres der Totenkopf war, ist jetzt die veraltete Hardware: Symbol der Vergänglichkeit im Zeitalter ihrer technischen Beschleunigung.

Nebst solchen Bezüglichkeiten zelebriert der Künstler den ästhetischen Mehrwert der elektronischen Gerätschaften, und darin liegt der beachtliche Reiz der Bilder: in der durch kühle Farbtöne - von Gelbgrün bis Kobaltblau - modulierenden Skala, in den schlierenhaften oder kreisförmigen Bildschirm-Spiegelungen bis hin zum Zitat von Hieronymus Bosch’ jenseitigem Lichttunnel.

Menschen hingegen werden bei Zamora Ruiz zum Medienreflex: Ein vielteiliges Bild-Rechteck aus verwackelten, erstaunten, lachenden oder sinnierenden Porträts ist eine malerische Replik von „Reacting Videos“ - im Netz „geteilten“ Aufnahmen von Leuten, die sich beim Betrachten von Serien oder Trailern filmen. Auch hier lotet Zamora Ruiz hinter dem Internet-Kult ältere Ikonographien aus - vom Charakterporträt bis zum Madonnenbildnis. Solche Archäologie des Blicks zeigt - stärker als die krimihafte Blitzlicht-Situation der beiden „Blank staring“-Bilder - die Paradoxie digitaler Medien auf: ihren unweigerlichen Rückbezug auf vordigitale Imagination.

Bis 28. Mai. Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 15 bis 18 Uhr, samstags und sonntags 11 bis 18 Uhr.