WLB-Intendant Friedrich Schirmer (Mitte) gibt als Letzter „Halbstark“ zum Besten, um ihn herum Ensemble und Mitarbeiter. Foto: Bernd Eidenmüller Quelle: Unbekannt

Von Petra Bail

Esslingen - Das kann ja heiter werden: Das Publikum wird schon vor Beginn der Vorstellung über ausgefallene Shows und verbotene Programmpunkte informiert. Auf „Wilhelm Tell and the Golden Apple“ wird man ebenso vergebens warten wie auf die Elefantennummer. Gerüchte und Skandale vom drohenden Aus, von Steuerhinterziehung stehen im Raum. Fizz’ Circus ist in bedenkliche Schieflage geraten. Da hilft nur noch beten - oder singen. Die Mitarbeiter greifen zum Letzteren, sehr zur Freude des Publikums der Württembergischen Landesbühne (WLB), das Zeuge dieses beschwingten, musikalischen Rettungsversuchs wird, der unter dem Titel „This ist My Song - Part II“ am Samstag im Esslinger Schauspielhaus eine stark umjubelte Premiere feierte.

Auftakt hatte der Liederabend quer durch die Musikgenres im vergangenen Jahr. Die charmante Idee stammt von Wolfgang Fuhr. Dem Publikum gefiel’s so gut, dass die WLB nun die zweite Staffel auflegte: neue Interpreten, neue Lieder. Theatermitarbeiter, auch solche, die sonst nicht im Rampenlicht stehen, dürfen ihre Lieblingssongs live vortragen, egal ob Rock, Pop, selbst komponiert, Swing oder Chanson, glänzend begleitet vom musikalischen Leiter des Abends, Wolfgang Fuhr, und seiner spielfreudigen Band.

Jeder Beitrag lässt die Aktien steigen

Den Rahmen bildet die Zirkusgeschichte. Die Kulisse hat man ja schon. Es ist die barocke Manege aus der Klassikerkurzfassung „Dr. Faustus Magical Circus - Part II“, dessen Direktor der legendäre Fizz ist. Wie im echten Zirkus gibt es Pausenclowns, die hier von Markus Michalik als überdrehter Pierrot und Benjamin Janssen im sensationellen Affenkostüm dargestellt werden. Die beiden verbinden mit allerlei ironischen Späßen die sehr unterschiedlichen Sangesdarbietungen, denn nicht jedem ist Gesang gegeben.

Mit der mantraartigen Beschwörungsformel „Born to Love“ des Komponisten und Sängers Jan Paul Werge, der schon öfters für die WLB tätig war, stimmen die Schauspielerinnen Galina Freund und Sabine Dotzer das Publikum auf die niederschmetternde Situation ein. Die Laufschriftanzeige über der Bühne ist im roten Bereich. Die Chancen sind gering. Doch von da an geht’s bergauf. Jeder Beitrag lässt die Aktien steigen. Regieassistentin Olga Katsaros ist ein mitreißendes Naturtalent. Als sprühende „Facilitymanagerin“ mit Feudel-Stola und leidenschaftlichem Russen-Pathos sorgt sie für so donnernden Applaus, dass der Kurs des Zirkus sofort in die Höhe schnellt.

Jede Nummer ist originell inszeniert, auch wenn die Töne, gelegentlich sogar absichtlich, in die gleiche Schräglage geraten wie der Zirkus. Zu Schauspieler Ralph Hönickes Interpretation von Kurt Weills „Der Song von Mandelay“ zeigen Clown und Affe ein zum Niederknien komisches, weil liegendes Ballett, ähnlich dem von Synchronschwimmerinnen. Als Gast aus dem Staatstheater Stuttgart orakelt Marietta Meguid herrlich weiblich über Grönemeyers „Männer“. Ensemblemitglied Daniel Großkämper macht Laune mit „Hey Ya!“ des Hip-Hoppers André Benjamin und Schauspieler Martin Theuer gibt sich mit Joe Cockers Reibeisenstimme in „Unchain My Heart“ bockstark.

Letzter Prozentpunkt ist Chefsache

Kollege Eberhard Boecks bewusst schiefe „Coverversion“ von Karl Valentins Sonntagslied lässt die Quote dramatisch in den Keller rasseln - da hängt nicht nur der Wagen an der Straßenbahn, sondern auch der Sänger. Es kommen die Beatles zu Gehör, es wird versucht, so gut es eben geht, „Über sieben Brücken“ zu gelangen, der kleine Bruder vom großen Cro rappt im Pandabärenkostüm. Ein französisches Chanson wird gehaucht und eine Eigenkomposition als verträumtes Duett gesungen.

Wenn die Show stimmt, muss man nicht mehrere Oktaven schaffen: In selleriegrünem Rüschenhemd und bananengelber Hose macht Disponent Stephan Antals zu Jürgen Marcus’ 70er-Jahre-Schnulze, „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“, eine sehr passable Figur. Vermutlich wurde die Queen-Hymne „Bohemian Rhapsody“ noch nie so gut von einem Affen und einem Clown gecovert.

Den letzten Prozentpunkt zur Rettung des Unternehmens zu ersingen ist natürlich Chefsache. Intendant Friedrich Schirmer wählte den Kulthit der legendären Yankees aus den 60er-Jahren. „Halbstark“ von Frank Bartelt ist ein Song, der seinerzeit das Lebensgefühl vieler junger Menschen widerspiegelte, die sich gegen Normen und Konventionen auflehnten und damit die gesellschaftliche Wende symbolisierte. Hier ist es die wirtschaftliche: Fizz’ Circus ist gerettet, Broadway, London Westend, Asien und Rio warten. Vorher heißt es aber noch einmal „Vorhang auf“ in Esslingen.

Die Silvesteraufführung am 31. Dezember, um 21.15 Uhr, verspricht Special Guests. Kartentelefon Tel. 3512-3044.