Quelle: Unbekannt

Intensiv, abwechslungsreich und am Ende mitreißend: In der Schleyerhalle zeigten Silbermond ihre Klasse als eine der besten deutschen Live-Bands.

Stuttgart Prenzlauer Berg im Jahr 2003, ein Club, der mittlerweile geschlossen ist. Ein Showcase für Plattenfirmen soll die Karriere einer noch unbekannten Band namens Silbermond aus Bautzen befeuern. Doch die Label-Bosse finden kein gutes Haar in der Suppe: Die Songs taugen angeblich nichts, Name und Band selbst auch nicht. Silbermond scheitern. Doch die Band glaubt an sich, behält Namen und Titel. Rockstar-Attitüde halt: Scheiß’ drauf! Der Rest ist Erfolgsgeschichte.

Silbermond füllen längst die größten Arenen. Jetzt mal wieder die allerdings nur ordentlich gefüllte Schleyerhalle. Über 7000 Fans sind aus dem Häuschen. Und einen Titel spielt das Quartett, den es schon 2003 spielte: „Durch die Nacht“, kurz vor Ende des regulären Sets, neonblau illuminiert. Es ist einer ihrer größten Hits und befeuert auch das Stuttgarter Publikum. Aber Silbermond haben sich verändert. Noch immer stehen Sängerin Stefanie Kloß, Andreas Nowak, die Brüder Thomas und Johannes Stolle zueinander, aber ihr Sound ist ein anderer: sanfter, homogener – wie das neue Album „Schritte“, das ein Immer-in-Bewegung-Bleiben, ein Nach-vorne-Schauen impliziert. Mehr Poppiges denn Rockiges hört man da, aber mit teilweise tiefen Texten. Silbermond geben sich politisch und sprechen gesellschaftliche Themen an: Schönheitsideale, Klimawandel, Digitalisierung, Rechtsruck in Deutschland. Die altbekannte musikalische Leichtigkeit ist dennoch nicht verloren gegangen.

Fast das gesamte Album spielen sie. Den Titelsong „Schritte“ beispielsweise, der die Scheidung von Kloß’ Eltern thematisiert. Oder die sympathische Weltfriedens-Fantasie „Träum ja nur (Hippies)“, die als emotionaler und positiver Blick in die Zukunft daherkommt. Die ganze Halle steht dazu. Mit dem letztjährigen, kritisch-liebevollen Lobgesang „Mein Osten“, der allerdings nicht auf „Schritte“ enthalten ist, sorgen sie für einen ersten Gänsehaut-Moment. Verpackt in einem Mini-Akustik-Set zusammen mit dem balladesken „B96“ könnte die Mahnung in Anbetracht des Wahleklats in Thüringen nicht aktueller sein. In guten Zeiten Händchen halten kann jeder. In schlechten Zeiten nicht loszulassen, lautet das ausgegebene Motto. Noch viel stärker geht aber „In meiner Erinnerung“ unter die Haut, das Stefanie Kloß als zweite Zugabe intoniert: ein trauriges Stück in Gedenken an ihren 2003 verstorbenen Vater. Sie hat dabei keine Angst vor großen Gefühlen, wächst in das Lied hinein, kehrt ihr Innerstes nach außen, zeigt Betroffenheit und feiert trotzdem das Leben.

Und zwar rotzig und laut. Sind die „Schritte“-Songs live schon härter und rauer, lassen es Silbermond bei den älteren Stücken erst recht krachen, so, wie man die Band seit dem Debüt „Verschwende deine Zeit“ kennt. Silbermond liefern eine emotionale Achterbahnfahrt ab und sind ein energiegeladenes Ereignis. Allein das Bühnenbild könnte kaum bombastischer sein. Wie ein verwunschener Wald in Anlehnung an das grandiose Musical „Der Zauberer von Oz“ erscheint die riesige Bühne, drapiert mit Klavieren, überdimensionalen Kelchpflanzen, Stoffbären, Pinguinen, Pinocchio und vielem mehr.

Inmitten dieser psychedelisch angehauchten Spielwiese, begleitet von einer erlesenen Lightshow und ausgeklügelten Videoanimationen, starten Silbermond mit dem langsamen Popsong „Was Freiheit ist“ ihr zweieinhalbstündiges Programm ohne Vorband. Es braucht danach zwar trotz hart rockenden Stücken wie „Lass mal“ eine ganze Weile, bis die 35-jährige Stefanie Kloß und ihre von einem Keyboarder unterstützten Mannen eins sind mit den Fans – dann aber stürzt sich Stefanie kopfüber ins Entertainment. Sie hüpft wie die kleine Dorothy mit großen, staunenden, aber wachen Augen vom linken Bühnenrand zum rechten und zurück, lässt sich – mehr Tuchfühlung geht nicht – vom Laufsteg auf Fan-Händen zurück zur Bühne tragen, posiert mit den Bandkollegen, turnt ungekünstelt auf Monitorboxen und singt dabei mal intensiv druckvoll, mal sanft.

Publikumsnähe und grenzenlose Spielfreude zeigen auch die Instrumentalisten. Derweil der formidable Schlagzeuger Andreas Nowak und der stets lachende Bassist Johannes Stolle das Rhythmus-Fundament legen, kennt Gitarrist Thomas Stolle fast keine spielerischen Grenzen: Funk, Jazz, Rock, Pop – viele Genres schüttelt er leichthändig aus dem Ärmel. Erstklassige Handarbeit ist das, zwischen Rock und Gelassenheit.

Mit „Indigo“, „Meer sein“, „Leichtes Gepäck“ und dem mit Schmetterlingsflügeln inszenierten Hit „Symphonie“ von 2004 bringen Silbermond die Arena zum Sieden. Dazwischen sorgen Balladen wie „Irgendwas bleibt“ und die Liebeserklärung „Das Beste“ für emotionalen Überschwang. Die Laut-Leise-Dramaturgie elektrisiert, und ähnlich stimmungsvoll und nachhallend brennt sich auch das Intermezzo auf einer kleinen Vorbühne in der Hallenmitte ein. Bei der Mutmacher-Ballade „Für Amy“ lässt Kloß sogar den Sound ausschalten, um die Intimität bis an die Grenze zu forcieren, und am Ende schweben Lichtlampions von der Decke.

Bei aller Leichtigkeit hat auch „Bestes Leben“ diese gewisse Melancholie, die zu Silbermond gehört wie die Fan-Nähe. Zu dieser ersten Zugabe taucht die Band mitten auf der Tribüne auf, dann marschiert das Quartett einmal rund durch den Innenraum entspannt den Weg zurück zur Bühne. Nicht ohne zwischendurch am Getränkestand zwei Bier zu kaufen. „Ein schöner Schluss“ vom neuen Album setzt dann akustisch einer intensiven, abwechslungsreichen und am Ende mitreißenden Show das i-Tüpfelchen auf. Silbermond beweisen, dass sie eine der besten deutschen Live-Bands sind. Auf die nächsten „Schritte“ darf man gespannt sein.