Gelungene Verbindung aus luftgeborener Lyrik und erdiger Folklore: Szene aus „Schwanensee“. Foto: John Hogg Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Ludwigsburg - „Schwanensee“ im Schnelldurchlauf: Gerade eine Stunde braucht die südafrikanische Choreografin Dada Masilo für die traurige Geschichte vom Prinzen zwischen den beiden Schwanenmädchen, dem weißen und dem schwarzen. Mit ihrer Johannesburger Dance Factory und 14 vor Energie bebenden Tänzern gastierte die kahlköpfige Tanzerzählerin im Ludwigsburger Forum am Schlosspark, wo die anfänglich grelle Ballettparodie in einer dunklen Elegie vom Sterben endete.

Es beginnt mit einer aufgeregt auf Englisch schnatternden Zeremonienmeisterin, die uns erzählt, dass alle klas sischen Ballette in Wirklichkeit gleich sind. Sie moderiert Siegfried mit seinen „Männlichkeits-Spagaten“ herein, Odette faltet sich im spektakulären „Keiner-liebt-mich-Sturz“ zu Boden: Fünf Minuten spielt Dada Masilo „Ballett für Dummies“, bevor es mit einer wirklich erstaunlichen Mixtur aus russischer Schule und südafrikanischer Folklore spannend wird. Da entfaltet Odette, getanzt von Masilo selbst, das gestreckte Bein elegant nach oben und kickt dann frech die andere Hüfte hinaus, ihr weißes Tutu wippt fröhlich wie ein Petticoat. Das fetzige Allegro von Peter Tschaikowskys Eröffnungsnummer passt für fröhliches Bodenstampfen, munter brüllt die Meute aus männlichen und weiblichen Schwänen zur Hochzeitsfeier.

Der südafrikanische „Swan Lake“ ist keine ziselierte Elegie in Weiß, sondern eine lebenssprühende Party. Gerade noch trippeln die barfüßigen Schwäne zart auf ihren Zehenspitzen, dann hauen sie die Ha cken in den Boden - oft sind es die gleichen Bewegungen wie im klassischen Vokabular, aber die Choreografin ersetzt die verfeinerte akademische Linie durch wilde, losgelöste Bewegungsfreude. Wie ihr die Verbindung aus luftgeborener Lyrik und erdiger Folklore völlig organisch gelingt, genau das macht die Originalität und den Charme dieser Aufführung aus.

Masilo zitiert nicht nur aus der alten Petipa/Iwanow-Choreografie, sondern baut gleich noch den „Sterbenden Schwan“ von Michail Fokine ein, samt d er passenden Musik von Camille Saint-Saens - denn dazu naht Odile, der schwarze, in diesem Fall männliche Schwan, dessen melancholische Zurückhaltung unser Prinz der schrillen Odette vorzieht. Der weiße Schwan ist hier in keinster Weise eine verzauberte Jungfrau, sondern selbstbewusst und sexy, der Prinz aber sehnt sich nach dem Dunklen, Geheimnisvollen.

Weit besser als in ihrer „Carmen“, die 2015 beim ersten Colours-Festival im Theaterhaus zu Gast war, gelingt es Dada Masilo hier, die turbulente Tanzlust der Südafrikaner mit dem schönen Ideal des Balletts zu verbinden - aus der anfangs reinen Parodie entsteht eine explosive Mischung, die sich in dunkler Todesahnung auflöst. Denn auch dieser „Schwanensee“ endet traurig: Zu Arvo Pärts einsam tontröpfelndem Minimalismus ist es die in Afrika allgegenwärtige Aids-Epidemie, die alle zu Tode bringt. In einer letzten Umarmung versöhnen sich die beiden Prinzipien Odette und Odile, ein Plädoyer für Toleranz. Vielleicht hat Dada Masilo ein bisschen viel hineingestopft in die eine Stunde „Swan Lake“, von der Ballettparodie über die Lebensfreude ihres Landes bis zu seiner Homophobie und seinen Aidstoten. Aber sie erzählt ihre Geschichte wahrhaftig, in einer aufregenden Fusion aus Fremdem und Eigenem, Ballett und Folklore - als das universale Märchen von Liebe und Tod, das jede Kultur, jede Volksgruppe in ihrem Vorrat birgt.

Das nächste Tanzgastspiel im Forum: „Der Nussknacker“ mit dem Genfer Ballett, Choreografie: Jeroen Verbruggen. 8. bis 10. Dezember.

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