Die 2,34 Meter große Mrs. Nana (Gordon Leif) und ihr Ensemble: Die große Dame bekommt die Rollschuhe angezogen. Foto: Alexandra Klein Quelle: Unbekannt

Von Petra Bail

Stuttgart - Sagt der Therapeut zum verspäteten Klienten: „Ich hab‘ schon mal ohne Sie angefangen …“. Das ist ein Witz, trifft aber den Kern der „Psycho-Komödie in vier Sitzungen“, die jetzt an der Komödie im Marquardt Premiere hatte. „D’r schwäbische Neurosenkavalier“ zeigt auf gediegen unterhaltsame Weise, dass letztlich alle ein bisschen gaga sind und Mitmenschlichkeit eine enorme Heilkraft hat. Vor exakt 30 Jahren wurde das Boulevardstück des Autorenduos Gunther Beth und Alan Cooper an der Komödie im Marquardt unter dem Originaltitel „Der Neurosenkavalier“ uraufgeführt. Die Titelrolle hatte 1986 Claus Biederstaedt. 16 000 Aufführungen in 15 Ländern folgten. Das amüsante Lustspiel war sogar das erste westdeutsche Boulevardtheater, das 1989 in Stralsund aufgeführt werden durfte.

Jetzt hat Allrounderin Monika Hirschle eine Mundart-Fassung erarbeitet, in der sie außerdem die Paraderolle der moderierenden Sprechstundenhilfe Frau Engel verkörpert. Der Name der Dame ist Programm. Im unschuldsweißen Kostümchen strahlt sie die sprichwörtliche Engelsgeduld aus und verkörpert schwäbischen Pragmatismus: „S‘ schneit“, seufzt sie verzückt und fügt resigniert hinzu: „und i han Kehrwoch‘“.

Falscher Doktor

Sanft rieselt der Schnee vor dem Fenster der eleganten psychotherapeutischen Praxis von Professor Dr. Otto, „einer Oase, in der Patienten ihre Ängste an der Garderobe abgeben können“. Ein Mann im roten Nikolauskostüm schneit herein - und schon sind die Zuschauer mittendrin im Feel-Good-Weihnachtsstück der Komödie. In schwierigen Zeiten wird hier die Sehnsucht nach leichter, unkomplizierter Unterhaltung ohne tiefere Bedeutung bedient und zugleich verdeutlicht, dass Täuschung durch Illusion in der Manier von Thomas Manns Hochstapler Felix Krull bestens funktioniert, wenn man von sich selbst überzeugt ist.

An mangelndem Selbstbewusstsein fehlt es Klaus Bollinger wahrhaftig nicht. Der verkleidete Nikolaus ist ein erfolgreicher Kaufhausdieb. Auf der Flucht vor der Polizei versteckt er sich in der Therapeutenpraxis. Frau Engel hält ihn irrtümlich für die Vertretung des Professors, der sich in Sidney auf einem Kongress befindet. Wer ein paar Semester Veterinärmedizin studiert hat, kann auch Patienten auf die Couch legen, sagt sich Bollinger, und schon liegt sie da wie hingegossen: Claudia Carrera (Katja Hentschel), erfolgreiche Autorin mit unbewältigtem Vaterkonflikt und ansehnlicher Bikini-Neurose.

Natürlich taucht auch die echte Vertretung auf. Axel Weidemann ist als Doktor de Witt der einzige Nicht-Schwabe, was ihn nicht davon abhält, der Ur-Schwäbin Engel schöne Augen zu machen - wahre Liebe kennt halt keine Sprachbarrieren. Beide werden von Bollinger böse verleumdet, damit sein Schmu nicht auffliegt. Andreas Klaue ist ein erfindungsreicher Schlawiner vor dem Herrn, der nicht nur die Rhetorik der Psychologen beherrscht, sondern auch über Empathie verfügt. Selbst Kommissar Maiwald (Volker Jeck), der ob der erfolglosen Suche nach dem Kaufhausdieb in eine Depression fällt, wird von ihm erfolgreich behandelt. In die exzentrische Kleptomanin Sybille Bast (herrlich aufgedreht Tina Eberhardt) verliebt er sich. Gemeinsam geht er mit der Champagnerkönigin vom Killesberg shoppen.

Der Star des Abends ist freilich eindeutig Reinhold Weiser. Ihn in der Rolle des paranoiden Finanzbeamten Jürgen Epple zu sehen und vollends dessen Coming-out als „King of Rock ‘n‘ Roll“, ist Vergnügen pur. Seine leidenschaftlich-schräge Live-Version von Elvis Songs wie „Jailhouse Rock“ und „Suspicious Minds“ samt der Tanzperformance des übrigen Personals entschädigen für die in weiten Teilen doch betuliche Inszenierung.

Regisseur Stephan Bruckmeier hätte durch höheres Spieltempo Schwung in das Stück bringen können. Dialoge wie: „So, d’r Kaffe“ - und die Antwort: „Oaa, stark“, wirken selbst im gemütlichen Dialekt lahm. Auch den gebrauchsphilosophischen Weisheiten wie „Der Pessimist hat zwar meistens recht, aber niemals Freude. Der Optimist hat zwar meistens unrecht, aber immer Freude“ fehlt der zündende Witz. Der blitzt immer dann auf, wenn die Zuschauer zwischen den Zeilen lesen. „Sie haben aber lange Finger“, sagt de Witt zum diebischen „Kollegen“ - oder der Kommissar zum Pseudo-Psychologen: „Sie sind genau der Mann, den ich schon so lange suche.“ Und natürlich begeistert Monika Hirschle mit köstlichem Pidgin-Englisch, das dem von Günther Oettinger an Unterhaltungswert in nichts nachsteht.

Vorstellungen bis 15. Januar 2017 in der Stuttgarter Komödie im Marquart dienstags bis samstags 20 Uhr, sonntags 18 Uhr. Karten unter Tel. 0711-2277022.

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