Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Finstere, dunkle Akkorde, gleichzeitig klirrende, helle Farben: Diese klangliche Spannweite einer einzigen musikalischen Einheit ist typisch für die Musik von Jean-Pierre Leguay. Der französische Komponist - geboren 1939, Schüler des komponierenden Ornithologen Olivier Messiaen und lange Zeit als Organist in der Pariser Kathedrale Notre Dame tätig - war jetzt zu Gast in der Reihe „Musik am 13.“ in der sehr gut besuchten Cannstatter Stadtkirche. Der von Geburt an blinde Meister gab dann auch im ihm gewidmeten Porträt-Konzert eine Kostprobe seiner legendären freien Orgelimprovisationen, für die er berühmt ist. Solche mögen an den mächtigen Orgeln Notre Dames noch spektakulärer klingen. Aber in der Cannstatter Kirche ging er auch sehr farbenfroh zur Sache: enorme Dunkel-Hell-Kontraste, schier endlos ab- und aufwärts wandernde, schillernd-dissonante Klänge und Melodien, Registermischungen aus näselnden, glockigen, brummenden, plätschernden Stimmen, die immer dichter werden, in verwirrende Polyphonie münden, bis alles eskaliert und Stille eintritt - um sich wieder neu aufzubauen.

Solche pralle Farbenvielfalt als Struktur, die sehr französisch ist, prägt auch die Kompositionen Leguays, dessen Oeuvre natürlich viel Orgelmusik umfasst, aber auch Kammer- und Vokalmusik. In „Allume l’aube dans la source“ (Entzünde die Morgendämmerung in der Quelle), das die Pianistin Sabine Sauer dynamisch und farblich fein differenziert zum Leuchten brachte, wird stets die Weite der gesamten Tastatur ausgenutzt, von ganz oben bis ganz unten.

Krasse Kontraste

Im quecksilbrigen, glitzernden Laufgewusel, in den dissonanten Tontrauben-Reihungen, in den verschatteten und hellen Tönen hört man heraus, dass sich Leguays kompositorische Energie und Inspiration aus seinen Orgelimprovisationen nährt. Der Unterschied liegt in der Dichte des Klangs: die Orgel satt und grell wie ein Ölgemälde, das Klavier transparent und verschwimmend wie ein Aquarell.

Überträgt sich der Malkasten der Orgelregister auf Ensemblemusik, wie im frisch komponierten „Jubilus“, das in der Stadtkirche in der Leitung Jörg-Hannes Hahns seine deutsche Erstaufführung erlebte, wird die Musik noch farbiger, feiner, leichter, plastischer: wenn sich etwa über Trillern der Klarinette langsam die nervösen Stimmen von Flöte, Oboe, Violine aufbauen und der Klang mit einem Schlag in sich zusammenstürzt.

In „Chant“, der Vertonung eines Textes aus dem biblischen Hohelied schließlich sind krasse Kontraste schon in der Besetzung angelegt: Schlagzeuger Franz Bach stand dem Kammerchor der Mädchenkantorei an St. Eberhard gegenüber. Lang nachklingende Gongschläge, Trommelwirbel, Marimbaklänge grundieren die wechselnden Artikulationen des Chores: rhythmisches Sprechen, insistierende Einstimmigkeit, explosive oder vibrierende Mehrstimmigkeit bis hin zur kleinintervalligen Auffächerung des Klangs. Die sehr rein und konzentriert intonierende Mädchenkantorei in der Leitung Christian Weiherers brillierte hier durch Schönklang, Genauigkeit, Transparenz und einige solistische Einlagen. Wunderbar.