Probenszene aus „Die Kirche bleibt im Dorf“. Foto: Pfeiffer Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Esslingen - Mitten im Schwabenland klafft genau auf der Gemarkungsgrenze zwischen Oberrieslingen und Unterrieslingen ein riesiges Schlagloch. Jede der beiden Gemeinden schanzt der anderen die Aufgabe zu, das Loch zu stopfen. Natürlich bleibt es ungestopft: ein Ärgernis zwischen den beiden Flecken, die seit jeher in inniger Abneigung verbunden sind. Auch weil sie sich seit alten Zeiten die Kirche im einen, den Friedhof im anderen Kaff teilen müssen. Da führt der letzte Weg schon mal übers Schlagloch, zum Beispiel bei der Beerdigung von Oma Häberle: ein trefflicher Anlass, sich mal wieder zeternd in den Haaren zu liegen. Aber es kommt noch dicker: Ein reicher Amerikaner will für eine horrende Summe die Oberrieslinger Kirche kaufen. Dort wittert man einen tollen Deal, in Unterrieslingen wettert man: Die Kirche bleibt im Dorf!

Exakt so nannte Ulrike Grote ihre schwäbische Filmkomödie, die 2012 einen so großen Erfolg feierte, dass 2015 eine Fortsetzung in die Kinos kam und der SWR die Regisseurin und Drehbuchautorin mit einer Serie beauftragte. Die vierte Staffel wird zum Jahresende gesendet.

Vorher, nämlich heute Abend, kommt der Ursprungsfilm ins Theater. Christine Gnann inszeniert „Die Kirche bleibt im Dorf“ an der Esslinger Landesbühne (WLB), szenisch eingerichtet vom ehemaligen WLB-Dramaturgen Matthias Göttfert. Doch was heißt schon eingerichtet: Regisseurin Gnann ist überzeugt, „dass der Stoff auf der Bühne besser funktioniert als im Film“. Und warum? „Wir können die Figuren und die Geschichte fließender erzählen als in Filmschnitten, Übergänge genauer beleuchten und motivieren.“ Dazu entwarf Judith Philipp eine Simultanbühne, die alle Schauplätze - Ober- und Unterrieslingen, die Kirche und das vermaledeite Schlagloch - gleichzeitig zeigt; freilich nicht als „Spielfilm-Naturalismus“ (Gnann), sondern in spielerischer Stilisierung, aber mit eindeutiger Kenntlichkeit. Das Bühnenpanoptikum erlaubt rasante Szenenwechsel, muss also dem Tempo der Filmvorlage kein Limit setzen. Und zudem trennen keine Cuts die Orte der Handlung und die Parallelität der Handlungen. Dadurch können „die Figuren schärfer profiliert und akzentuiert werden“, sagt Gnann. „Trotzdem sind es keine Typen, sondern Charaktere, die ihren Ursprung in der Realität haben.“ Letzteres ist der Regisseurin wichtig, denn bei aller erklärten „Liebe zum Schwabentum“ und den Eigentümlichkeiten der schwäbischen Seele: Klischees und „Kehrwochen-Ästhetik“ will Gnann flott von der Bühne fegen. Sie weiß, von was sie redet, ist sie doch an der WLB nach einschlägigen Inszenierungen („Die Glückskuh“, „Hoimetaberau“, „Der Sheriff von Linsenbach“) die „Schwabenelse vom Dienst“, wie sie augenzwinkernd sagt. Selbst aus Oberschwaben stammend ist der Dialekt für sie „ein Kulturgut, dem das Theater einen niveauvollen Platz geben kann“. Für die zehn Rollen in „Die Kirche bleibt im Dorf“ hat allerdings auch das Esslinger Ensemble nicht ausschließlich eingeborene Dialektsprecher parat. Immerhin, drei Viertel der Besetzung seien „native speakers“, teilt Gnann in schönstem Schwenglisch mit.

Was gut passt zum besonderen Clou der Inszenierung: Der Filmstoff wird musikalisch kommentiert mit live gecoverten, von Oliver Krämers Garagenband mitten im Bühnenbild begleiteten Songs der Schwoba-Rock-Urgesteine Grachmusikoff und Schwoißfuaß. Natürlich darf deren Klassiker „Oinr Isch Emmr Dr Arsch“ nicht fehlen, vor allem aber will Gnann der tieferen Einfühlung in die Charaktere musikalisch Bahn brechen. Wenn etwa der allzeit kreuznarrete Bürgermeister Häberle nach einem seiner Ausbrüche „I ben a Choleriker“ anstimmt, „entwickelt man sofort Verständnis und sogar Sympathie für ihn“, sagt die Regisseurin. Was auf die Botschaft der turbulenten Dialektkomödie weist, die für Gnann schlicht, aber bedeutsam lautet: „Verzeihen ist besser als streiten.“ Und so entpuppt sich die Story - nebst kriminalistischen Verwicklungen - zuguterletzt als Happy-End-Variante von Romeo und Julia auf dem Dorfe. Worauf es ausnahmsweise außerschwäbisches Kuschelliedgut setzt: „Love me tender“.

Die Premiere beginnt heute um 19.30 Uhr im Esslinger Schauspielhaus.