Meister der Gänsehautmomente: Roger Hodgson. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko - Lichtgut/Max Kovalenko

Köstliche Pop-Pralinen: Roger Hodgson, Ex-Stimme von Supertramp, zelebriert in der Liederhalle einen Streifzug durch die Geschichte der Band.

StuttgartEs gibt nicht viele Sänger, die augenblicklich am Auftakt einer Gesangslinie zu erkennen sind. Roger Hodgson zählt mit Sicherheit zu ihnen. Seine hohe, prägnante Tenor-Stimme, oft von anrührender Brüchigkeit unterlegt, ist so unverkennbar wie die Welthits, die er so zahlreich geschrieben hat. Der Singer und Songwriter war und bleibt die Stimme von Supertramp.

Hodgson, geboren 1950 in Portsmouth als Charles Roger Pomfret Hodgson, hat die Progressive-Rock-Band vor fast fünf Jahrzehnten mitbegründet. Doch allein aus seiner Feder stammen all die klassisch-relevanten und von seiner Stimme veredelten Mega-Hits, die Supertramp zu einer Legende werden ließen. 1983 verließ der Brite die Band, was er nie bereut hat, und ist seitdem solo unterwegs.

Im ausverkauften Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle gastiert der 68-Jährige, der schon lange in Kalifornien lebt, im Rahmen seiner „Breakfast in America“-Tour. Das gleichnamige, über alle Maßen erfolgreiche Album feiert nächstes Jahr seinen 40. Geburtstag. Hodgson spielt es nicht komplett, stattdessen zelebriert er einen ausgedehnten Streifzug durch die Geschichte der Band, aufgelockert durch einige wenige Stücke aus seiner Solokarriere. Erstaunlich dabei ist, wie die zeitlosen Songs und Rogers hypnotisierende Performance auf kraftvolle Weise miteinander verbunden sind. Für die Generation der Baby-Boomer ist es eine wunderbare Reise zurück in Erinnerungen. Den Jüngeren liefert der ergraute Endsechziger Erklärungen dafür, weshalb Klassiker wie „Breakfast in America“, „The Logical Song“oder „Even in the Quietest Moments“ bis heute nichts von ihrer Faszination verloren haben.

Das Luxusproblem, mit welchem Welthit er wohl das zweistündige Konzert eröffnen wird, löst er mit der Nonchalance eines charismatischen Entertainers, der es nicht nötig hat, einen auf Superstar zu machen. 2200 erwartungsvolle Fans überrascht er mit „Take the long way home“ vom „Breakfast in America“-Album. Das stakkatoartige Pianospiel geht direkt ins Ohr. Gleich anschließend folgt der Gänsehaut-Klassiker „School“ vom Album „Crime of the Century“ (1974), den ein bemerkenswert vielseitiger Multiinstrumentalist mit dem markanten Mundharmonika-Intro einleitet und den er später mit formidablen Klarinettentönen weiter aufmotzt. Man glaubt es kaum, dass ein Song, der so frisch daher kommt, schon 44 Jahre alt ist.

Die melodische Komplexität, die Harmonien, die Hodgson mit seiner vierköpfigen, exzellenten Band webt und die grandiosen Texte verzaubern das Auditorium. Überdeutlich wird auch bei kleinen Meisterwerken wie „Sister Moonshine“ und dem episch-brillanten „Hide in your shell“, wie sehr Hodgson auf die Kraft der Kompositionen setzt. Bis auf „Had a Dream“, das rockige Züge trägt, haben alle einen Schleier von Melancholie und Empfindsamkeit. Hodgsons Pop-Pralinen schmecken wie Edel-Marzipan, ummantelt von feinster Bitterschokolade. Derart elegant-genussvoll klingt denn auch zum Ende des regulären Sets „Fool’s Overture“: ein formidables Musik-Drama. Nichts lenkt davon ab: kein spektakuläres Licht, keine Videobilder, nicht mal die mit sechs überflüssigen Palmen drapierte Bühne.

Nur die Musik zählt – und der in einem schneeweißen Anzug gekleidete Protagonist. Hodgson, stets ein Lächeln im Gesicht, ist unfassbar gelassen, regelrecht tiefenentspannt, warmherzig und bescheiden, derweil aus seinem Keyboard, seiner E- oder seiner zwölfsaitigen Akustikgitarre magische Melodien in Hülle und Fülle perlen. Über allem thront seine engelsgleiche Falsettstimme, die weder an Kraft noch an Intensität verloren hat, allerdings an manchen Stellen überlagert wird von den lautstarken Begleitern. Dennoch: Was für ein Kontrast zu seiner Sprechstimme! Hodgson plaudert viel, aber nicht zu viel und hält auch so die innige Beziehung zu den Fans aufrecht.

Die Intimität wird auch nicht durch die Lieder aus seiner Solo-Ära aufgebrochen, selbst wenn Stücke wie „In Jeopardy“ vom Solo-Debüt „In the Eye of the Storm“ (1984), die folkige Ballade „Along came Mary“ und „Death and a Zoo“ weniger spannend, stellenweise fast eintönig klingen. Hodgson macht das wett durch Knaller-Werke wie „Child of Vision“, das mit Vielschichtigkeit und überbordenden Klavierkaskaden betört. Überspitzt formuliert ist das Konzert arm an Höhepunkten – weil es sich von Beginn an auf höchstem Niveau eingepegelt hat und einen Gänsehautmoment an den anderen reiht. Selbst „Dreamer“ bildet da keine Ausnahme. Für die Fans ist das dennoch die Offenbarung. Emotionen und wohlige Schauer sind die ganze Zeit garantiert. Ihren Star wollen sie gar nicht gehen lassen.

Den kurzen Zugabenteil bestreitet Hodgson dann mit den Liedern „Give a little bit“ und dem fast prophetisch anmutenden Ohrwurm „It’s raining again“ ungemein locker und eingängig. Das Publikum ist vollends im Taumel. Gelebte, pure Nostalgie ist das. Hodgson schafft es auf faszinierende Weise, dass seine Zuhörer für zwei Stunden selbst die größten Probleme ausblenden. Draußen hat es derweil tatsächlich geregnet. Endlich.