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Im Jungen Schloss kann man in die Welt des Kinderbuchs eintauchen. Die Schau wirft die Frage auf, warum viele Museen so wenig für den Nachwuchs tun.

StuttgartIm Wald ist Muskelkraft gefragt. Kasperl und Seppel sind dem Räuber auf den Fersen, immer tiefer und tiefer dringen sie in den Wald vor – allerdings nur, wenn die Besucher artig traben. Mitten in der Ausstellung zum „Räuber Hotzenplotz“ steht ein Laufband, und sobald ein Kind darauf zu rennen beginnt, setzt sich ein Zeichentrickfilm in Bewegung. So bewältigen Kasperl und Seppel die nächste Station ihrer Räuberjagd.

Im Jungen Schloss, der Kinderabteilung des Landesmuseums Württemberg, hat einer der berühmtesten und zugleich harmlosesten Räuber Einzug gehalten: der Räuber Hotzenplotz. Viele Generationen von Kindern sind mit dem Kinderbuch von Otfried Preußler groß geworden, das er im Grunde zum Zeitvertreib schrieb. Preußler kam mit seinem „Krabat“ nicht recht voran, sodass er sich etwas Lustigem widmen wollte. Heraus kamen die fröhlichen Abenteuer von Kasperl, Räuber, Zwackelmann und Dimpfelmoser samt Würstchen, Spritzenhaus und Kartoffelschälen. Ein „erzähltes Kasperltheater zwischen zwei Buchdeckeln“ nannte Preußler es selbst.

Im Stuttgarter Alten Schloss kann man nun Platz nehmen in Großmutters Küche, aber auch mit einer Laterne in die Kellergewölbe des Schlosses vordringen, wo die Unke im virtuellen Wasser planscht. Denn „Räuber Hotzenplotz“ ist eine Mitmachausstellung, in der sich Kinder von vier Jahren an die Erzählung mit allen Sinnen aneignen können – nach dem Motto „Spielen strengstens erlaubt!“

Es gibt viel zu tun für die kleinen Besucher, die am Grammofon kurbeln dürfen oder sich am Telefon die Geschichte vorlesen lassen und dazu stempeln, zeichnen und Kasperltheater spielen können. Hier darf mit Schachteln ein Schloss gebaut, dort können mit einem baumelnden Schinken Flaschen umgeworfen werden. Optisch lebt der kurzweilige Parcours von den Illustrationen von Franz Josef Tripp. 1960 wurde der Werbegrafiker mit seinen Illustrationen zu „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ von Michael Ende schlagartig bekannt. Ein Jahr später beauftragte ihn der Thienemann Verlag mit dem „Räuber Hotzenplotz“, dem er die markante große Nase verpasste und den dicken Bauch mit breitem Ledergürtel als Koppel für die diversen Waffen.

Allüberall tauchen Tripps Figuren in der Ausstellung auf, als lebensgroße Pappkameraden oder als Tapetenmotive, es gibt sogar eine üppig bestückte Garderobe, an der man sich Kostüme ausleihen kann, um sich in Räuber, Seppel oder Kasperl zu verwandeln.

Preußlers Tochter hat für die Ausstellung einige Leihgaben beigesteuert, die in einem Raum für Erwachsene präsentiert werden („Alles strengstens verboten für Kinder. Langeweilegefahr!“): Stifte, die auf Preußlers Schreibtisch lagen, die Diktiergeräte, die er bei seinen Spaziergängen ebenso in der Tasche hatte wie eine Taschenlampe und Gummispikes für die Schuhe. Einige alte Briefe lassen erahnen, was für ein Mensch Otfried Preußler war. Er verfasste gern im Namen des Hotzenplotz offizielle Korrespondenz. „Teurer Herr Bundespostminister“, schrieb er etwa an den einstigen Minister Hans Matthöfer, nachdem man die Postgebühren „sakrisch“ erhöht habe, bitte er um einen Tipp, wie auch er als Räuber seine Arbeit lukrativer gestalten könne.

So macht die Familienausstellung Eltern wie Kindern Spaß. Bloß, wo finden sich in der Schau die Bestände des Landesmuseums Württemberg, die Keltenschätze oder Stücke aus dem Barock? Die Antwort ist einfach: Es gibt sie nicht. Mag sein, dass sich im Depot eine Pistole hätte finden lassen, mit der Hotzenplotz dem Seppel eine Ladung Pfeffer hätte verpassen können, oder einige Messer, wie sie der Räuber im Gürtel stecken hat. Zum ersten Mal bezieht sich eine Ausstellung im Kindermuseum aber bewusst nicht auf die Sammlung – womit erst richtig deutlich wird, was Stuttgart wie so vielen anderen Städten fehlt: ein Kindermuseum. Bis heute gibt es in der deutschen Museumslandschaft nur sehr wenige Ausstellungen, die sich dezidiert an den Nachwuchs richten, und man kann sich schon fragen, warum.

Dass das Landesmuseum mit dem Thema den richtigen Riecher hatte, lässt auch das enorme finanzielle Engagement von privaten Spendern vermuten. Sie haben 170 000 Euro zur Schau beigesteuert, deutlich mehr, als sich das Museum erhofft hatte. Das Ergebnis ist eine spielerische Ausstellung, die durchaus pädagogischen Anspruch hat, auch wenn Christoph Fricker und sein Team diesen gut kaschiert haben. Selbst wenn hier an Großmutters Kaffeemühle gekurbelt werden darf und dort optische Spielzeuge erprobt werden können, geht es letztlich ums Schreiben, Lesen und Rechnen. Zahlen müssen in die richtige Reihenfolge gebracht, Wünsche notiert oder lustige Wortpaare erstellt werden.

Die viel wichtigere Botschaft an die kleinen Besucher ist aber, dass Ausstellungen nicht langweilig sein müssen und sie im Museum willkommen sind. Nicht in jedem, aber immerhin im Landesmuseum Württemberg.

Bis 23. Juni 2019, geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr.