Die „Schwäne“ und ihre Prinzessin - Ami Morita als Odette (links) mit Alexander McGowan als Prinz Siegfried. Foto: Stuttgarter Ballett Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Stuttgart - „Ganz gleich auf welcher Bühne, wir tanzen immer auf Weltklasse-Niveau“, verkündete der designierte Stuttgarter Ballettintendant Tamas Detrich vor wenigen Wochen anlässlich des geplanten Umzugs ins Paketpostamt während der Opernhaus-Sanierung. Naja, entfährt es einem nach diesem „Schwanensee“, der sich weder mit der Wiederaufnahme noch der zweiten Aufführung für die Europa-Liga qualifizierte: An die Qualität der Russen darf man gar nicht denken.

Nur selten hat man beim Stuttgarter Ballett in letzter Zeit so viele kleine Wackler, so viele Unsicherheiten gesehen wie bei den vielen Rollendebüts am Samstag. Nicht bei den Schwänen - im Corps de ballet fügen sich 24 Tänzerinnen, sonst in Temperament und Wesen von beglückender Vielfalt, zu einem gemeinsam atmenden Ganzen, das sich in reiner, ebenmäßiger Geometrie um die Schwanenkönigin schart und in elegischer Neigung um Verrat und verlorene Liebe trauert.

Verlust an männlichen Solisten

Je mehr andere Versionen man sieht, desto teurer wird einem John Crankos „Schwanensee“-Fassung von 1963 mit den zusätzlichen Variationen für den Prinzen und mit einem todtraurigen vierten Akt am Ufer des Sees, den Jürgen Roses Bühnenbild in eine verschattete Abenddämmerung des Abschieds taucht. In Stuttgart ist der böse Zauberer Rotbart kein Gruselmonster, sondern ein dämonischer Ritter mit schwarz geflügeltem Helm, hier gibt es weder die Vereinigung der Liebenden im Tod noch das sowjetische Happy End, sondern die Trennung auf ewig, als Strafe für den Verrat des Prinzen. So einfach der alte Theatertrick mit den sich wellenden blauen Tüchern ist, so dramatisch ertrinkt Prinz Siegfried bis heute darin.

Wenn man denn einen Prinzen hat. Alexander McGowan, der die Rolle als Einspringer sehr kurzfristig lernte, ist ein Charaktertänzer und besitzt einen ganz außergewöhnlichen Sinn für Komik - ein Danseur Noble ist er nicht. Mit seinen ewig langen Beinen wird ihm die enge Bühne fast zu klein, er springt zwar feine Double Tours, schusselt dann aber in den Drehungen herum. McGowan ist ein fürsorglicher Partner für seine Schwanenprinzessin, aber auch bei der Darstellung gibt es viel Luft nach oben (ein etwas absurdes Prädikat bei seiner Körpergröße). Wieder macht sich der große Verlust an männlichen Solisten in der Kompanie bemerkbar, zu Reid Andersons besten Zeiten konnte man diese Rolle vier-, fünfmal nobel besetzen.

Eine Entdeckung ist die große, langgliedrige Ami Morita, eine Ballerina mit königlicher Haltung. Lange nicht so larmoyant wie die Erstbesetzung Alicia Amatriain und ihr auch technisch weit überlegen, definiert die Japanerin die Unschuld des verzauberten weißen Schwanes durch die klare, schöne Reinheit ihrer Linien. Die Sehnsucht nach Erlösung bebt in ihren Armen bis in die Fingerspitzen hinaus (aber ach, an Marcia Haydées wunderbaren Port de bras darf man in Stuttgart heute nicht mehr denken). Auch dem schwarzen Schwan gibt Morita eine ganz andere Attacke mit, dreht locker doppelte Fouettés und bleibt dabei immer in der Musik. Bei allem Triumph über den betörten Prinzen ist sie aber nicht das schickste Girl auf der Party wie einstmals Margaret Illmann, sondern bleibt pure Verlockung, wenn sie sich hinter dem Cape des bösen Zauberers verbirgt - Matteo Crockard-Villa fegt mit anarchistischer Verachtung für die Klasse der Herrschenden über die Bühne.

Füllhorn an neuen Prinzen

Auch in den Nationaltänzen lief nicht alles so perfekt wie in der Premiere, mancher Debütant haderte mit der flotten Geschwindigkeit, die Kevin Rhodes vorlegte; das Staatsorchester reagierte auf den Gastdirigenten doch mit mehr Aufmerksamkeit als sonst bei den Ballettklassikern. Exquisit tanzten die Freunde des Prinzen, Adhonay Soares da Silva absolvierte eine Endlosdrehung und unter den langbeinigen Jägern stach erneut der junge Adrian Oldenburger heraus, der mit etwas Glück einer der zukünftigen Stars bei Tamas Detrich werden dürfte. Am nächsten Morgen war in der „Aktion Weihnachten“ zu bestaunen, was für ein Füllhorn an neuen Prinzen in den nächsten Jahren von der John-Cranko-Schule kommt - deren Direktor Tadeusz Matacz hat das Prädikat „Weltklasse“ wirklich verdient.

Weitere Aufführungen: 14., 15., 18., 23., 25., 30. Dezember und 6. Januar.

www.stuttgarter-ballett.de