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Die Lieder sind Selbstläufer, die Fans eine bedingungslose, sich am Ereignis wärmende Gemeinschaft. Trotzdem wirkt auch nach vier Jahrzehnten nichts abgedroschen bei der Band aus Bietigheim-Bissingen und ihrem Frontmann Hartmut Engler.

StuttgartAuf ins Abenteuer-Spielzeugland! Seit 40 Jahren funktioniert das bestens. Und noch immer kommen Pur rüber wie kleine Kinder, die sich ihren großen Traum erfüllen – ein Phänomen. Bei Pur ist drin, was draufsteht. Musik irgendwo im Spannungsdreieck zwischen Schlager, Pop und Rock. Die Texte teils grandios, eingebettet in emotionale Melodien – daraus entstanden viele Seelentröster.

Nach dreijährigem Tour-Verzicht bewegt man sich nunmehr „Zwischen den Welten“, wie der Titel des aktuellen Albums heißt. Drei Viertel davon spielen Pur in der ausverkauften Stuttgarter Schleyer-Halle. Es erzählt von einem Wechsel der Perspektiven durch Reisen, Bücher, Gespräche, Erlebnisse. Es geht um den Blick auf die Welt, um Toleranz und Verständnis für vieles, das uns zunächst fremd erscheint. Stellvertretend dafür stehen das Titelstück „Zwischen den Welten“ und die Powerhymne „Zu Ende träumen“, die voll von Gefühlen und Authentizität sind und mit denen die Band schon bald gemeinsam mit den 13 000 Fans feiert und träumt. Und wer, wenn nicht Pur, wüsste, wie sich das anfühlt: sich Träume erfüllen.

Die sieben Musiker tun das innig und hautnah zum Publikum – auf einer Rundbühne in der Arena-Mitte, die ein verbindendes Konzerterlebnis schafft und von allen Plätzen sehr gute Sicht garantiert. Über der Bühne sind große LED-Flächen und hydraulische Lichtelemente installiert, mit denen sich stimmungsvolle Illuminationen kreieren lassen. Dieses Konzertkonzept hat die im Kern seit 1976 existierende Ex-Schülerband in all den Jahren im Grunde nicht verändert. Und doch wirkt es nicht abgedroschen

Abgedroschen wirkt auch Hartmut Engler nicht. Der Sänger ist nach wie vor der sympathisch-herzliche Typ im Hemd über dem T-Shirt, der sich selbst immer als „uncool“ empfand. Von Coolness ist weiterhin nichts zu spüren: Engler rudert vor lauter Überwältigung mit den Armen, kneift vor lauter Rührung nach „Anni“, der kurzen Hommage an seine verstorbene Mutter, die genässten Augen zusammen und hüpft immer wieder hoch vor lauter Freude. Seine Energie ist ansteckend und die Fans geben ihm Unmengen an Sympathie zurück: eine Symbiose der guten Laune, der Nostalgie, der Harmonie und der Liebe. Der vertraute Pur-Dreisatz – sorgen, trösten, Mut machen – funktioniert noch immer: Wie heißes Kerzenwachs umschließt der Pur-Pop die Herzen der Fans. Gleichzeitig hat die Band immer auch was von Partykeller, wo der Ton ebenfalls so matschig und laut ist wie zu Beginn in der Schleyer-Halle.

Beim Programm vermeidet Pur Experimentelles. Mehr noch: Das Konzert ähnelt in weiten Teilen der Show von 2015. Hier neue Stücke aus dem aktuellen Album wie „Freund und Bruder“, das sie ihrem Keyboarder Ingo Reidl widmen, der seit zweieinhalb Jahren schwer krebskrank ist; dort alte Hits. Die Mischung ist stimmig. Insbesondere in die eigenen Hits kuschelt man sich, wie „Prinzessin“, das variierte „Funkelperlenaugen“, „Lena“ oder „Geweint vor Glück“. Und wie schon vor drei Jahren fügt der Frontmann auch an diesem Abend die Attacke ein. Bei „Bis der Wind sich dreht“ und Lichtgewitter marschiert er bedrohlich im schwarzen Nazi-Mantel, mit Schirmmütze und Schlagstock über die Bühne, und mit „Neue Brücken“ nimmt er ebenfalls kein Blatt vor den Mund. Die Stücke wurden vor 30 und 25 Jahren geschrieben und sind noch immer aktuell. Hört man Engler zu, dann kann man nicht weghören.

Auch instrumental zeigt das Septett aus Bietigheim-Bissingen, diese von den Feuilletons so oft verschmähte Mainstreamband, Kante. Schlagzeuger Frank Dapper trommelt vorwärts, und die Gitarristen Rudi Buttas und der superbe Martin Ansel geben dem Affen Zucker wann immer möglich („Energie“, „Guter Stern“). Ansel sieht mit Strickmütze eh längst aus wie The Edge von U2 und klingt manchmal auch so. Nur die Klaviertasten kleben weiterhin vor zuckersüßer Liebe wie bei „Wenn Du da bist“.

Letztlich ist es eine routinierte, trotzdem in den Bann ziehende Machtdemonstration inmitten einer sich am Ereignis wärmenden, bedingungslosen Gefolgschaft. Die meisten Lieder sind Selbstläufer, wie „Freunde“ zum Auftakt in einer Unplugged-Version oder das machtvolle „Abenteuerland“, das von einem vielstimmigen Chor gesungen wird, bei dem eindeutig die Frauen den Ton angeben. Und weil Weihnachten vor der Tür steht, packt der Engler-Nikolaus reichlich Geschenke aus. Unter anderem „Legenden“ und „80 Millionen“, die er zusammen mit Überraschungsgast Max Giesinger zelebriert. Dann kommt noch Peter Freudenthaler auf die Bühne, seines Zeichens Sänger von „Fools Garden“. Deren Hit „Lemon Tree“ singen alle drei gemeinsam und man hört und staunt: Es tut richtig gut, wenn Englers Stimme Gegenpole bekommt.

Zweieinhalb Stunden lang konzertieren die Schwaben bei ihrem Heimspiel. Teilweise ist es ein Do-it-yourself-Konzert, ein Klatsch- und Mitsing-Orkan im positiven Sinne. Beseelt geht´s heim, vielleicht im Kopf „Tango“ tanzend, das „Herzbeben“ aber noch länger nachhallend.