Krimifan ist jetzt Geschäftsführer des Polar-Verlags. Foto: Lg/Rettig - Lg/Rettig

Einer der Akteure des Stuttgarter Krimifestivals ist Jürgen Ruckh, der den insolventen Polar-Verlag gerettet hat. Für ihn umfasst der Krimi die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle.

StuttgartRuhig und behutsam öffnet Jürgen Ruckh die weiße Eingangstür. Hell, offen und freundlich ist das Entrée mit den großen Fenstern im neuen Sitz des Polar-Verlags. Gegenüber liegt der Cannstatter Uff-Kirchhof. Eine vom Boden bis zur Decke reichende, gut sortierte Krimibücherwand ragt einem beim Betreten der Verlagsräume entgegen, auf der anderen Seite eine gemütliche Sitzecke. „Alles noch etwas provisorisch“, meint der neue Geschäftsführer, denn mit dem Umzug seien sie noch nicht ganz fertig. Insgesamt 13 000 Bücher seien in seinem Besitz, sagt der 60-jährige Sammler, die meisten davon seit Jahren in Kartons untergebracht. Nun könne er sie hier endlich befreien.

Der Polar-Verlag hatte zuletzt einige Rückschläge hinnehmen müssen. Als kleiner Krimi-Verlag startete er 2013 in Hamburg. Doch das Geld wurde knapp, und nachdem eine Crowdfunding-Aktion 2017 scheiterte, musste der damalige Geschäftsführer, Wolfgang Franßen, Insolvenz anmelden. Da kam Jürgen Ruckh ins Spiel. Als Krimiliebhaber war es für ihn ein Glücksfall, wie er heute sagt, dass er den Verlag übernehmen konnte. „Die Entscheidung fiel mir leicht, und sie kam aus dem Bauch heraus“, sagt der in Neuhausen auf den Fildern geborene Ruckh. Heute arbeiten sie zu dritt im Verlag: Er als Geschäftsführer, Franßen als Herausgeber, und seine Frau Britta Kuhlmann ist zuständig für das Marketing – „und für das Korrekturlesen“, ergänzt Ruckh lachend.

Was aber ist Polar? Jürgen Ruckh erklärt es so: Abgeleitet von dem französischen „polar noir“ ist Polar der dunkle, gesellschaftskritische, oft zynische und innovative Kriminalroman. „Ein Nischenprodukt“, sagt Ruckh. Und diese Nische will er besetzen. „Ein guter Kriminalroman sollte aktuelle Gesellschaftsthemen aufgreifen und zeigen, was schiefläuft“, sagt der 60-Jährige. Ein Beispiel für einen Polar ist Leonard Pitts Jr.‘s „Grant Park“, aus dem am 19. März bei den Stuttgarter Kriminächten gelesen wird. Die Erzählung vereint zwei Schauplätze der amerikanischen Geschichte: den Tag von Obamas Wahl zum Präsidenten 2008 und die Ermordung von Martin Luther King 1968. Rassismus und Freiheitskampf – auch das typische Themen des Polar.

Ruckh schätzt an guter Kriminalliteratur, dass man damit alles transportieren könne: Spannung, Politik und die gesamte Bandbreite menschlicher Gefühle. Was ein typischer Polar-Leser sei? Jemand, der über den Krimi etwas über die Gesellschaft erfahren möchte.

Ruckhs zweite Leidenschaft neben dem Krimi ist die isländische Literatur. Wenn er Halldór Laxness‘ „Island Glocke“ und Jón Kalman Stefánssons „Himmel und Hölle“ aus dem Regal zieht, scheint sein Herz einen kleinen Sprung zu machen. Isländische Autoren seien vielseitig und sehr poetisch, und sie schilderten tolle Landschaftsbilder, lobt Ruckh.

Und wie sieht er die Zukunft des Polar Verlags? Ob ein Titel funktioniere oder nicht, wisse man natürlich immer erst hinterher, sagt er. Auf dem Markt müsse man seine Nische suchen und hoffen, dass sie sich trägt. In Zukunft wolle er mehr in die Öffentlichkeitsarbeit investieren. Das Buch müsse beim Buchhändler liegen und sichtbar sein. Im Verlagsgeschäft könne einer allein die Aufgaben nicht stemmen. Deshalb sei es damals schiefgegangen. Zu dritt stünden ihre Chancen besser. Zumindest seien das Jahr 2018 und das beginnende Jahr 2019 gut gelaufen.

Seit 40 Jahren sammelt Jürgen Ruckh Bücher. Von den 13 000 Titeln in seinem Besitz hat er längst nicht alle gelesen, „aber 300 bis 400 im Jahr schaffe ich schon“, lässt er wissen. Wenn er ein Buch sieht, das ihm gefällt, muss er gleich die ganze Reihe haben. Dagegen könne er nicht an. Dass sein Sammlerherz nun eine neue Heimstatt gefunden hat, mach ihn sichtbar glücklich – auch wenn sich die entspannten Lesemomente inmitten des Verlagstrubels rar machen.

Schauspiel: Den Auftakt am 15. März macht um 20 Uhr die Uraufführung von „Tabu“ im Alten Schauspielhaus nach Ferdinand von Schirachs Roman.

Lesungen: Am 16. März, 20 Uhr, liest im Krematorium am Pragfriedhof Joe Bausch True-Crime-Geschichten aus „Gangsterblues“. Tatjana Kruse stellt in der Boutique Erotique Frau Blum „Meerjungfrauen morden besser“ vor (17. März, 18 Uhr). Im Lern- und Gedenkort Hotel Silber ist der französische Autor Jérôme Leroy mit „Die Verdunkelten“zu Gast (17. März, 20 Uhr). Dominique Manotti hat sich in „Kesseltreiben“ von der „Alstom-Affäre“ inspirieren lassen (Haus der Wirtschaft, 18. März, 20 Uhr). Am 19. März liest Jo Jung aus „Grant Park“ von Leonard Pitts Jr. Verbunden damit ist ein Gespräch mit Jürgen Ruckh, dem neuen Geschäftsführer des Polar-Verlags (20 Uhr, Pressehaus Stuttgart). Lesung mit Ausblick gibt es im Turm des Hauptbahnhofs: Susanne Saygin ist mit „Feinde“ zu Gast (20. März, 20 Uhr). Bernhard Aichner und Florian Eisner sind mit „Bösland“ im Friedrichsbau Varieté (28. März, 20 Uhr) zugange.

Musik: Schauspieler Stephan Szász und Gitarrist Jo Ambros inszenieren in der ehemaligen Dienstvilla des Ministerpräsidenten auf der Solitude „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ von Robert Louis Stevenson (21. März, 20 Uhr). Henrik Siebold liest im Bix zu Saxophonklängen aus „Inspektor Takeda und der lächelnde Mörder“ (27. März, 20 Uhr).

Live-Hörspiel: Im SWR1-Funkstudio in der Villa Berg lauscht man der Produktion „Tote schlafen leicht“von John Dickson Carr (23. März, 20.15 Uhr).

Karten: Reservierungen empfehlen sich, einige Termine sind ausverkauft.

stuttgarter-kriminaechte.de