Philipp Poisel auf der Freilichtbühne. Foto: Lichtgut / Ferdinando Iannone - Lichtgut / Ferdinando Iannone

Seit zehn Jahren steht Philipp Poisel auf der Bühne. Er ist ein Sonderfall, der ein besonderes Publikum zu Tränen und zum Tanzen rührt.

SchorndorfSchließlich lässt Philipp Poisel ab vom Mikrofon, springt wild über die Bühne, und sein Publikum tanzt mit ihm. Rund 2500 Menschen sind am Freitagabend auf den Killesberg gekommen, um den Songwriter aus Ludwigsburg zu erleben. Die Fläche vor der Freilichtbühne im Höhenpark ist damit gut zur Hälfte gefüllt; sehr viele Frauen jüngeren Alters sind zu sehen. Insgesamt aber ist das Publikum erstaunlich gemischt, sogar der eine oder andere Mann steht da, wippt mit dem Knie und summt mit.

Poisel indes hält die Augen geschlossen, fast immer, steht am Mikrofon, klammert sich fest, löst sich nur, um Gitarre zu spielen. 2018 waren es zehn Jahre, dass er sein Debütalbum veröffentlicht hatte, Philipp Poisel feierte das Jubiläum mit einer sehr gut besuchten Clubtournee. Im Sommer 2019 spielt er vor allem auf Open-Air-Bühnen. Auch einige neue Stücke sind dabei – wie „Unser Bordsteinkantenleben“, das er für eine Inszenierung von Armin Petras schrieb, den früheren Stuttgarter Schauspielintendanten.

Der Song fügt sich wie alle Stücke Poisels ein in eine Atmosphäre aus träumerischer Weltflucht, begleitet von einer Band, die sich während des Konzerts wandelt. Erst kommt Poisel alleine auf die Bühne, dann weitet sich sein Auftritt zum Unplugged-Konzert, als Cellistin Luisa Babarro und seine Band mit akustischer Gitarre, Kontrabass und Percussion dazustoßen. Später wechseln Poisels Begleiter zu einem druckvoll verstärkten Klang.

Das Publikum, daran gibt es keinen Zweifel, schwärmt für Poisels lauten Momente so sehr wie für die stillen, intimen. Der Sänger, der als Jugendlicher in Chören unangenehm auffiel und kein Lehrer wurde, weil er die Aufnahmeprüfung im Fach Musik nicht bestand, hat längst zu einem sehr persönlichen Gesangsstil gefunden, dem man Ähnlichkeit mit jenem des Mentors Herbert Grönemeyer ablauscht: rau, mit vielen Höhen, eigenwilligen Betonungen, emotional und ganz in sich gekehrt. Und so ruft er in den Höhenpark hinaus: „Wie soll ein Mensch das ertragen / dich alle Tage zu sehn / ohne es einmal zu wagen / dir in die Augen zu sehn?“

Seine Lieder sind kleine Epen, ufern immer aus – Gefühle und Gedanken, die im Text oft nur die Andeutung erfahren und die von Poisel in großer Breite zelebriert werden. Dieser 36-Jährige im weißen T-Shirt hat die Haare zu einem kleinen Zopf gebunden. Scheu und nur manchmal energisch, entspricht er dem Typus des Stars so wenig wie dem des jungen deutschen Songwriters. Er ist ein Sonderfall, der ein besonderes Publikum zu Tränen und zum Tanzen rührt. Die anderthalb Stunden Konzert kostet er aus bis zuletzt. Er gönnt sich und seinen Fans eine Ekstase, springt umher im Stakkato der Gitarren und singt: „Ich hab getanzt, als gäb’s kein Morgen mehr, und der Himmel hat sich langsam gedreht, damals in Stuttgart.“