Clueso bringt seine Fans schnell auf Betriebstemperatur. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Ingo Weiß

Stuttgart - „Vor, zurück, zur Seite, ran, herzlich willkommen! Neuanfang.“ So singt Clueso im fünften Song des Abends. „Neuanfang“ heißen das Stück und sein aktuelles, siebtes Album. Auch der Sänger und Songwriter selbst hat nach zwei bewegte Jahren einen gelungenen Neuanfang hinter sich. Der Erfurter, der bürgerlich Thomas Hübner heißt, krempelte sein musikalisches Leben um, trennte sich nach 14 Jahren von seiner Band und geht seither eigene Wege.

Ein radikaler Schnitt, nicht nur Aufbruch, sondern auch Ausbruch. „Neue Luft“ will Clueso atmen, wie er seinen Opener betitelt hat. Ruhig, fast mit Bedacht startet er das Konzert in der Stuttgarter Liederhalle, deren Beethovensaal zu Beginn in meerblaues Licht getaucht ist. Beim reggaehaften „Love the People“ geht das über in eine ausgeklügelt-aufwendige Lightshow mitsamt einfallsreich-futuristischen Videoanimationen, die das gesamte Konzert über ihre Reize ausspielen.

In den neuen Liedern wie dem rotzigen „Achterbahn“ sind der Aufbruch und die Zweifel am Alten wie am Neuen zu hören. Auf seine sensible, suchende Art hinterfragt Clueso sich selbst. Das Konzept geht auf. Die neuen Songs klingen live viel rauer und kantiger als auf CD und treffen gerade deshalb mitten ins Herz. So wie auch die nachdenkliche Pop-Ballade „Wenn Du liebst“, auf dem Album mit der Australierin Kat Frankie als Duettpartnerin. Im Beethovensaal holte Clueso die noch unbekannte Wanja als stimmgewaltigen Ersatz auf die Bühne. Sehr tief schauen sich beide in die Augen, das Hitpotenzial der neuen Stücke ist in diesem Augenblick nicht nur hörbar, sondern förmlich sichtbar.

Aber auch viele ältere Songs entdeckt Clueso neu. Auch weil mit diesen teils melancholischen Werken die Erinnerungen hochgehalten werden. Hier die pulsierende Neuauflage von „Mitnehm“, dort Clueso-Klassiker wie „Keinen Zentimeter“ und die Unterwasser-Ballade „Gewinner“. Seinen gefühlvollen Überhit „Chicago“ hält er nicht etwa bis zu den Zugaben zurück, sondern zelebriert seinen wahrscheinlich besten Song bereits an sechster Stelle. Ein sehr früher, großer Konzert-Moment, der durch eine schier explodierende Bühnenleinwand noch verstärkt wird. Clueso ist bekennender Foo Fighters-Fan, grelle Leuchtkaskaden und bonbonfarbene Scheinwerferkegel illuminieren die Bühne entsprechend in schönem Blendwerk.

Demgegenüber steht ein spielfreudiges Outfit, das dramaturgisch reizvoll zwischen Bigband, HipHop, Reggae, Rock, Pop, Elektro und sanften Balladen changiert. Das liegt daran, dass Clueso eine neu zusammengestellte, starke, achtköpfige Band inklusive drei Bläsern im Rücken hat. Seit Festivalauftritten im Sommer sehr gut eingespielt, machen insbesondere die Bläser und der Drummer viel Druck. Der Sound klingt schmutzig und trotzdem gut, es rumpelt, atmet und lebt an allen Ecken. Cluesos Stimme passt bestens dazu. Sie klingt wunderbar angekratzt, fast als wäre er ein bisschen erkältet.

Mehr als zwei Stunden lang geht der Erfolgssänger mit der Portion Leichtigkeit und durchschimmernder Coolness damit hausieren. Posaunt eine Prise mehr Reggae hinaus wie bei „Wir wollen Sommer“ und hängt rockige Popsongs wie „Die Straßen sind leer“ und „Out of Space“ an die große Glocke. Zwischendurch kehrt er immer wieder zu seinen HipHop-Wurzeln zurück. Was viele nicht wissen: Ursprünglich startete Clueso - dieser smarte, sympathische Normalo, schlicht gekleidet in weißem T-Shirt und dunkler Jacke - als Rapper. Diesen Wurzeln huldigt er unter anderem beim ausufernden Partysong „Anderssein“, den er mit Rapeinlagen spickt. Bei „Baby Blue“ glänzen er und seine Sidekick-Gäste Chefket und Dissy mit einem fantasievollen Freestyle. In solchen Momenten klingt Clueso wie eine Mischung aus Cro, Fanta 4 und seinen bayerischen Spezln von Blumentopf, dann wieder wie Johannes Oerding.

Clueso wirkt jünger, als sein Geburtsdatum vermuten ließe. Jungenhaftes Aussehen und Schelm-Charme lassen seine 37 Jahre kaum erahnen. Er wirkt noch immer wie ein großer Junge, der seine Erfolge kaum fassen kann. Er scherzt und erzählt immer wieder kleine Geschichten zu seinen Liedern. In den überwiegend weiblichen Fans hat er ein aufmerksames Publikum, das schnell auf Betriebstemperatur ist, sich kräftig durchschütteln lässt, aber nicht aus der Kurve fliegt. Auch nicht, als Clueso das innig geliebte Lindenberg-Cover „Cello“ in einer wunderschön intimen Jazzbar-Version intoniert. Einleitend imitiert er gekonnt „die coolste Socke auf Mutter Erde“, also Udo Lindenberg, nuschelt genauso herrlich wie der Hamburger Panikrocker und erzählt ein paar „Anekdötchen“, vom Rauchen und Roten Teppichen und so.

Clueso ist hier in Hochform. Und auch vor Bruce Springsteen verbeugt er sich. Die Ballade „I’m on Fire“ hat er allerdings kurzerhand eingedeutscht. Clueso mischt die Stimmungen lebhaft und überzeugend und „brennt wie Feuer“. Mit dem großartig funky groovenden Energiesong „Freidrehen“ beendet er das reguläre Set, mit dem Puhdys-Klassiker „Wenn ein Mensch lebt“ von 1977 läutet er solo den Zugabenteil ein. Die Akustik-Version gelingt ihm überragend. Selbst nach „Mach’s gut“ und „Fanpost“ hatten die Fans keinen Bock zu gehen. Abgesehen von seinem Club-Auftritt im Februar im Wizemann war Clueso 2011 das letzte Mal in Stuttgart. Von der Stimmung überwältigt verspricht er, öfters herzukommen. So oder so: Der Neuanfang ist hervorragend gelungen.