Immer für eine Überraschung gut: Patricia Kopatchinskaja. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Sie spielt im Klassikzirkus gerne das Bad Girl. Und sie ist immer für eine Überraschung gut: Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja verhält sich als Solistin stets sympathisch verhaltensoriginell. Im Meisterkonzert im Stuttgarter Beethovensaal marschierte sie jetzt in einem schlohweißen, ausladenden brautkleidähnlichen Outfit auf die Bühne. Und das einleitende auftrumpfende Orchesterthema in Robert Schumanns Violinkonzert sang sie mit, während ihr ganzer Körper im Rhythmus zuckte. Ihr Einsatz dann: gewohnt zupackend, mit gewollt eingeschmutzter Intonation, die Zieltöne schrill nehmend. Kein Versuch, die virtuosen Figurationen im ersten Satz schön zu spielen. Wild soll es klingen, hitzig und zornig, auf Kosten struktureller Klarheit.

Schumanns Violinkonzert - lange Zeit umstrittene Rarität, weil es ein paar Monate vor dem Suizidversuch des Komponisten entstanden ist und deshalb Generationen von Musikern Züge geistiger Zerrüttung darin vermuteten - gehört heute glücklicherweise zum Repertoire aller großen Geigenvirtuosinnen und -virtuosen. Ein Werk, das die krassen Gegensätze von Euphorie und Weltschmerz auslotet, das ein ungeheuer poetisches Potenzial besitzt und deshalb emotional vielschichtig ist. Kopatchinskaja, ohne Zweifel eine großartige Geigerin, sucht jedoch anderes. Das London Philharmonic Orchestra in der Leitung des französischen Dirigenten Alain Altinoglu macht ihr Spiel, so gut es geht, mit.

Die Geigerin - in der Pose einer bleichen, etwas unheimlichen Braut - haut rein, was das Zeug hält, artikuliert die Euphorie als Rage, im Fortissimo reißt sie die Saiten hart an. Der Weltschmerz im Pianissimo gerinnt bei ihr zu farblosen, fahlen Tönen, oft an der Grenze des noch Hörbaren. So wird der Geigenpart im langsamen Mittelsatz phasenweise zur Nicht-Musik. Das ist ein interessanter Mut zur Hässlichkeit einerseits, aber andererseits geht er irgendwann auch gehörig auf die Nerven.

Die Erklärung für ihre Interpretation liefert die Geigerin nach. Die Entstehungsgeschichte des Violinkonzerts habe „etwas Geisterhaftes“. Sie spielt darauf an, dass Schumann in jener Zeit glaubte, Schuberts Geisterstimme zu vernehmen, die ihm dann das Thema zu seinen später in der Nervenklinik entstandenen „Geister-Variationen“ für Klavier eingeflüstert habe. Ein Thema, das jenem des langsamen Satzes des Violinkonzerts verblüffend ähnlich ist. Und dann passiert das, was zu den kostbaren Augenblicken im Konzertalltag gehört. Kopatchinskaja spielt als Zugabe etwas anderes „Geisterhaftes“, ein Capriccio von Salvatore Sciarrino, dem Avantgardisten mit Vorliebe für Flüstertöne: zarte Geflechte aus Vogelzwitschern, aus feinsten Schraffuren und Glissandi, die in zackigen Fieberkurven huschen und tanzen. Und um „andere Geister“ im Saal hörbar aufzuwecken, lässt die Geigerin als Widerhall eigener Töne den Pauker diese immer wieder grummelnd untermalen. Das ist wunderschön, und die Art und Weise, wie Kopatchinskaja hier Neue Musik ins Mainstreamprogramm schmuggelt, ist wirklich faszinierend.

Der Rest des Konzerts fiel allerdings der Belanglosigkeit anheim. Die zu Beginn gespielte Orchestersuite „Le Tombeau de Couperin“ von Maurice Ravel blieb klanglich eindimensional, wirkte gelegentlich gar hölzern. Keine Transparenz im Orchesterklang, kein Gefühl für die Magie der Klangfarbe, für die Ravel berühmt geworden ist. Und am Ende des Abends erklang eine Feld-Wald-und-Wiesen-Interpretation der Beethoven’schen dritten Sinfonie, der Eroica. Ihr fehlte hier jede Übergangsgestaltung und dynamische Differenzierung. Es herrschte Langeweile.