Zeichnung zu Kostümen und Bühnenbild von Peter Weiss’ „Viet Nam Diskurs“ von Gunilla Palmstierna-Weiss. Foto: Gunilla Palmstierna-Weiss Quelle: Unbekannt

Von Dietrich Heißenbüttel

Stuttgart - In Italien ein Klassiker, ist der neapolitanische Komiker Totò bei uns relativ unbekannt geblieben. Seine letzte Rolle hatte er in Pier Paolo Pasolinis 20-minütigem Film „Was sind die Wolken?“, wo er mit grün geschminktem Gesicht den Intriganten Jago aus Shakespeares „Othello“ spielt. Allerdings verfilmt Pasolini nicht einfach das Drama, sondern er inszeniert eine Aufführung mit Schauspielern als Marionetten. Als Othello, der „Mohr von Venedig“, am Ende Desdemona erwürgen will, schreitet das Publikum ein. Von einem singenden Müllmann, gespielt vom Liedermacher Domenico Modugno, auf der Müllhalde entsorgt, sieht Othello, auf dem Rücken liegend, zum ersten Mal in seinem Leben die Wolken. Daher der Titel des Films und der Ausstellung im Stuttgarter Kunstgebäude, wo der Film im Kuppelsaal vor einer hölzernen Arena zu sehen ist.

Die Ausstellung nimmt Bezug auf das Thema der Reformation, das im selben Gebäude in einer Ausstellung des Hauptstaatsarchivs abgehandelt wird. Allerdings wollten die Kuratorinnen Iris Dressler und Christine Peters nicht auf Martin Luther abheben. Die Reformation markiert für Dressler, mit Hans D. Christ Direktorin des Württembergischen Kunstvereins, den Beginn einer „Infragestellung der Dinge, wie sie sind.“

Verschobene Grenzen

Pasolinis Film, der 1968 Premiere hatte, lässt bewusst die Figuren des Dramas als Marionetten auftreten und ein von Laiendarstellern gespieltes Publikum die Handlung unterbrechen. „Die Verwechslung der Ebenen von Fiktion und Realität“, so Dressler, „öffnet ein Moment der Freiheit und Emanzipation, wo die Dinge einen anderen Verlauf nehmen.“

Daran knüpft die Ausstellung mit mehreren theatralischen Inszenierungen an, die jeweils historische Konflikte beleuchten, indem sie die Grenzen zwischen Schauspielern und Publikum, Realität und Fiktion verschieben. Catarina Simão greift aus einem Film des mosambikanisch-brasilianischen Regisseurs Ruy Guerra die zentrale Episode heraus, in der Laiendarsteller eine historische Begebenheit aus dem Jahr 1960 nachspielen, die schließlich in einem Massaker endet. Der Film war in Mosambik selten und nie unzensiert zu sehen.

Das „Capitulation Project“ von Frédéric Moser und Philippe Schwinger entstand anlässlich des Irakkriegs 2003. Die Videoinstallation besteht aus einer Rekonstruktion des Settings und einer filmischen Reinszenierung einer Aufführung der New Yorker Performance Group, die 1971 unter aktiver Einbeziehung des Publikums das My-Lai-Massaker amerikanischer Soldaten im Vietnamkrieg thematisierte. Die wellenförmige Bühne verunsichert die Wahrnehmung. Ob der Schwarzweißfilm von 1971 oder 2003 stammt, ist nicht auf den ersten Blick erkennbar. In seinem Theaterprojekt „Viet Nam Diskurs“ hatte Peter Weiss bereits 1967 den Krieg und seine Vorgeschichte thematisiert. In einer Installation etwa mit Filmausschnitten und einem Interview mit der heute 89-jährigen Gunilla Palmstierna-Weiss, die das großartige, reduzierte Bühnenbild und die Kostüme entwarf, rekonstruiert das Künstlertrio Center for Post-Colonial Knowledge and Culture (CPKC) den Kontext. Im Anschluss an die Aufführung reiste das Ehepaar Weiss nach Nordvietnam und nahm am Russell-Tribunal in Stockholm teil, einer Initiative gegen die US- Kriegsverbrechen in Vietnam. Zu sehen sind auch Originalzeichnungen von Palmstierna-Weiss.

Neue Impulse generieren

Der kupferne „Story Generator“ von Ana Torfs besteht aus beidseitig mit Texten und Abbildungen bedruckten Karteikarten, die sich auf den Coudenberg-Palast bei Brüssel, Sitz Kaiser Karls V., und die belgische Kolonialgeschichte beziehen. Albrecht Dürer bekam hier 1520 aztekische Federschilde und Goldschmiedearbeiten zu sehen, die er sehr bewunderte. Aus Kupfer ist der Apparat gebaut, weil die Europäer mit Kupferarmreifen, so genannten Manillas, in den afrikanischen Sklavenhandel einstiegen. Durch Drehen lassen sich die von 1505 bis 2015 chronologisch geordneten Karten durchblättern.

Wie Pasolini möchte die Ausstellung die Besucher zu Mitspielern machen. In der Arena treffen sich am 2. Dezember verschiedene Initiativen, um eine zweite Konferenz im April zum Thema „Ökonomien anders denken“ vorzubereiten. Das von sechs Kulturinstitutionen in Stuttgart organisierte „Gipfeltreffen“ versteht sich als Experiment, aus der Begegnung von Kunst und Zivilgesellschaft neue Impulse zu generieren. Wenn ab 2019 das Neue Schloss saniert wird, will das Finanzministerium das Kunstgebäude allerdings okkupieren. Die Freiheit der Kunst muss dann einmal mehr der Staatsräson weichen.

Die Ausstellung läuft bis zum 4. April 2018 und ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr geöffnet.