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Ein Feel-Go(o)d-Konzert: Michael Patrick Kelly zu Gast auf der Freilichtbühne Killesberg

StuttgartGroße Teile der Kelly Family, die in den 90er-Jahren zu den kommerziell erfolgreichsten Popbands in Europa zählten, treten nach zahlreichen Soloprojekten inzwischen wieder gemeinsam auf. Nur Michael Patrick Kelly, einst Schwarm einer ganzen Generation, treibt weiterhin seine Solo-Karriere voran. Und wer sein Konzert auf der ausverkauften Freilichtbühne auf dem Stuttgarter Killesberg erlebt hat, muss konstatieren: Das ist gut so. Das Gastspiel fand im Rahmen seiner letztjährigen iD-Tour statt, die aufgrund der sensationellen Nachfrage verlängert wurde. „iD“, das als Logo groß im Bühnenhintergrund prangt, steht für Identität. Wer bin ich? Wer Du? Wer sind wir? Diese Fragen scheint Kelly mit seinem gleichnamigen Album beantworten zu wollen.

Doch wer ist Michael Patrick Kelly – beziehungsweise Paddy, wie Fans ihn aus Tradition heraus immer noch rufen: ein 41-jähriger Sänger, Musiker und Komponist, irisches Blut, US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Einst Straßenmusiker, Teenieschwarm und Popstar, der sich von der Vergangenheit auch äußerlich emanzipiert hat. Heute ist er ein gereifter, authentischer Künstler und Kosmopolit. Zuvorderst aber ist er Vollblutmusiker und ein ausgezeichneter Live-Musiker, der, die Kelly-Schule hat ihre Spuren hinterlassen, die gesamte Klaviatur des Entertainments bespielt und der sichtbar Spaß hat bei all seinem Tun auf der Bühne. Nichts wirkt aufgesetzt oder gezwungen, die Gefühle, die unterhaltsamen Worte, sie kommen von Herzen. Und Kelly weiß eine fünfköpfige, ausgezeichnete Band im Rücken, die jeden seiner Schritte problemlos mitgeht.

Gleich zu Beginn zieht Michael Patrick für die 4500 Fans weit rockigere Saiten auf als früher. „Lazarus“ heißt der Opener, der für Kelly-Verhältnisse fast schon brachial daherkommt. Kelly, oberhalb der Bühnentreppe stehend, erscheint im blauen Lichtkegel dabei fast wie ein auferstandener Erlöser. Auch „Golden Age“, der zweite Song vom neuen Album, nimmt ordentlich Fahrt auf. Er singt mit Hingabe und Leidenschaft und überzeugt mit seiner gut ausgebildeten, ungemein starken Stimme.

Vielseitigkeit ist Trumpf, das musikalische Spektrum reicht vom Pop über irisch-schottischen Folk, spanischen („Ares qui“) und französischen Klängen („Et voilà“) bis hin zum weichgespülten Rock („Happiness“). Von Piano-Balladen („Higher Love“) bis zu Midtempo-Songs („Shake away“, „Flag“) ist alles dabei. Kelly gibt sich mal ruhig und berührend, mal laut und kraftvoll, sein Stil-Mix ist so international wie sein Publikum, das auf der Freilichtbühne ganz Europa und sogar die USA vertritt. Hymnischen und ausufernden Momenten wie beim Freundschafts-Song „Friends R Family“ steht eine Stille wie beim Kuschellied „Roundabout“ gegenüber. Das Klangbild ist anfänglich breiig und zu leise, später exzellent austariert, die Atmosphäre ungemein entspannt. Allerdings überstrapaziert Kelly das Sommernachts-Feeling unter anderem mit allzu lockeren Erzählungen, mit ausufernden Selfie-Aktionen und einem viel zu lange vorbereiteten Stage-Diving.

Schon früh im Set überrascht er mit einem Flashback. Ein Medley aus drei, jeweils nur angespielten Kelly-Hits lässt vor allem die weiblichen Fans jubeln. Der Welthit „An Angel“, „One more song“ sowie „One more freaking Dollar“ sorgen solo und nur mit Akustikgitarre begleitet für pure Nostalgie, und für einen Moment umgibt ihn die Aura jenes langmähnigen Jungen, der einst mit seiner Stimme Stadien füllte.

Kelly steht zwar zu seiner Vergangenheit, aber noch viel mehr zu seiner Gegenwart. Deshalb lässt er es sich nicht nehmen, zwei Stücke aus der Tauschkonzert-Show „Sing meinen Song“ zu performen. Zuerst das traurige „Memories“, im Original vom Osnabrücker Reggaemusiker Gentleman. Und danach die Ballade „Flüsterton“ von Mark Forster, der einzige deutschsprachige Titel des Abends, der in einer bewegenden Schweigeminute für den Frieden mündet. In seiner intimen Version zeigt Kelly seine stärkste Präsenz, doch darin liegt gleichzeitig auch die Crux des schönen Feel-Good-Konzerts. Kelly will alles sein: Seelentröster, Sorgenvertreiber, Mamas Liebling, Rockstar, Filou, Kinderanimateur. Und ist von allem doch nur ein bisschen.

Am Ende steht Kelly nur zwei statt annähernd drei Stunden auf der Bühne, mehrere Songs wie „Requiem“ oder „Last Words“ müssen aufgrund der frühen Sperrstunde entfallen. Mit dem spirituellen, bei seinem mehrjährigen Klosteraufenthalt geschriebenen „Holy“ und dem melancholisch-hoffnungsvollen „Hope“ bleibt es wenigstens bei den obligatorischen iD-Zugaben.