Foto: Natasha Razina/State Academic Ma - Natasha Razina/State Academic Mariinsky Theatre

Das Mariinsky-Ballett ist bekannt für die Wahrung balletthistorischer Juwelen für die Nachwelt. Mit „Dance Revolution à la Russe“ – nun in Baden-Baden – zeigt es aber auch neue Choreografien aus den eigenen Reihen.

Baden-BadenKaum ein Dirigent seiner Preisklasse stellt sich für eine Ballettaufführung in den Orchestergraben. Valery Gergiev, der Intendant des St. Petersburger Mariinsky-Balletts, macht das relativ häufig, in Russland gelten Ballett und Ballettmusik einfach weit mehr als bei uns. Auch das alljährliche Gastspiel des Mariinsky-Balletts im Festspielhaus Baden-Baden eröffnete Gergiev persönlich, der dreiteilige Abend war dem Komponisten Sergei Prokofjew gewidmet, zu dessen 125. Geburtstag er vor zwei Jahren in Russland entstanden ist.

Und natürlich klingt es herrlich, wenn Russen einen Russen spielen: Mit seinen hervorragenden Musikern ließ Gergiev den Farben- und Rhythmen-Reichtum der drei Werke funkeln, schmiegte sich in die großen Melodiebögen, die Prokofjew, egal ob Ballettmusik oder Violinkonzert, bei aller Modernität doch immer wieder aufblühen lässt. Choreografisch war der mit „Dance Revolution à la Russe“ betitelte Abend nicht ganz so berückend, gezeigt wurden neben einem Klassiker zwei von insgesamt fünf jüngeren Uraufführungen, die Ballettdirektor Yuri Fateyev zum einwöchigen Gastspiel mitbrachte. Für eine Kompanie, die praktisch zu 100 Prozent von Klassikern lebt, ist das sehr gewagt.

Das Mariinsky-Ballett bewahrt inzwischen auch die Werke für die Nachwelt auf, die einst als Gegenentwürfe zu seiner Tradition entstanden, George Balanchines „Prodigal Son“ etwa, im Jahr 1929 die letzte Uraufführung von Sergej Diaghilews revolutionärer Avantgarde-Kompanie Ballets Russes. Mit den expressiven, fast signalhaften Gesten und Posen unterscheidet sich die Adaption der Bibel-Geschichte vom verlorenen Sohn stark von Balanchines späterer Abstraktion. Mit Alexander Sergeev und der stolzen Ekaterina Kondaurova als Verführerin war die Aufführung vorbildlich besetzt: ein balletthistorisches Juwel (siehe Foto).

Es waren Balanchines neoklassische Werke, die das Mariinsky-Ballett nach dem Zerfall der Sowjetunion zuerst neu aufnahm, ja geradezu aufsaugte, später kamen auch William Forsythe und andere moderne Choreografen aus dem Westen dazu. Nun beginnt man auch bei sich selbst zu suchen und hofft auf den neuen Balanchine, also einen klassischen Choreografen, der konzertante Ballette auf hohem Niveau erarbeitet. Neben Alexei Ratmansky, Ex-Bolschoi-Chef und jetziger Haus-Choreograf des American Ballet Theatre, kann das eigentlich nur noch der Brite Christopher Wheeldon, der Deutsche Uwe Scholz war auch so einer.

Maxim Petrov und Anton Pimonov, die ihre Arbeiten zu Prokofjew an diesem Abend präsentierten, sind es zumindest noch nicht; beide nehmen sich Balanchine zum Vorbild und erreichen doch nie dessen Stringenz und Klarheit. Viel zu viel Leerlauf gibt es in Petrovs „Russian Overture“ zu Prokofjews „Russischer Ouvertüre“, fast wie eine Spartakiade sieht das helle, folkloristisch getönte Ballett mit seinem vielen Gerenne aus. Pimonovs „Violin Concert No. 2“ ist raffinierter und eleganter, wirkt aber in seinem bewusst stilvollen Klassizismus kühl, ja fast oberflächlich zur seelenvollen Solovioline von Olga Volkova.

Wie so viele Kollegen in Europa veranstaltet Ballettdirektor Yuri Fateyev nun „Junge Choreografen-Abende“ und gibt reichlich neue Werke in Auftrag. Dass man dabei geduldig auch Mittelprächtiges aushalten muss, gehört zum Geschäft. Das Stuttgarter Ballett, im Vergleich vielleicht ein Viertel so groß wie die riesige Mariinsky-Kompanie, kann zwar keine drei „Dornröschen“ auf drei Kontinenten gleichzeitig tanzen, schöpft aber seit über 50 Jahren reiche Schätze aus seiner Schule der Kreativität, mit der St. Petersburg, wo man fast hundert Jahre lang nur bewahrend tätig war, gerade erst wieder beginnt.

Weitere Aufführungen des Mariinsky-Balletts in Baden-Baden: „Schwanensee“ am 25.12., neue Choreografien in „Die Vier Jahreszeiten“ am 26.12., Ballettgala am 27.12.

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