Figuren im Machtspiel: Serjoscha Ritz, Rebecca Geiger, Max Tidof, Stephanie von Borcke und Gideon Rapp (v.l) Foto: Sabine Haymann - Sabine Haymann

Der radikale Herrscher: Das Alte Schauspielhaus in Stuttgart zeigt Shakespeares „Richard III.“ mit Max Tidof

StuttgartEr ist einer der fiesesten Schurken auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Im Shakespeare-Universum wurde der bucklige, hinkende König Richard III. zum Urahn solch grundböser Intriganten wie Jago oder Lady Macbeth, er ist außerdem Lieferant berühmter Zitate, vom „Winter unseres Missvergnügens“ bis zum „Königreich für ein Pferd“. Manfred Langners Inszenierung des Königsdramas im Alten Schauspielhaus verlegt den abstoßend-faszinierenden Aufstieg des Herrschers durch Mord und Manipulation nicht etwa in die kühlen Regierungsflure der modernen Politik, sondern in eine postapokalyptische „Mad Max“-Welt, wo nur noch offenes Feuer die Menschen wärmt.

In einem verfallenen Gemäuer, vor Bildern von Trümmerlandschaften und dürren Bäumen verwandelt der scheidende Intendant der Schauspielbühnen in seiner letzten Stuttgarter Inszenierung den britischen Rosenkrieg zum Wüstenkrieg, hetzt statt der Königsgeschlechter der Yorks und Lancasters wilde Familienclans in blutigen Intrigen aufeinander. Es ist ein kompliziertes Drama mit ausuferndem Personal, das man angesichts der Überfülle an historischen Details kaum je so spielen wird wie es im Buche steht. Auch Langner kürzt radikal, der religiöse Aspekt etwa bleibt völlig außen vor. Die weit mehr als 30 Personen sind deutlich dezimiert und werden mit mehreren Rollenwechseln von elf Darstellern gespielt.

Die damaligen Zuschauer konnten all die Prinzen und Grafen noch historisch einordnen, war das Geschehen doch gerade ein Jahrhundert her; wir aber erleben sie als eine Abfolge von wichtigen und weniger wichtigen Verwandten, Hofschranzen, Funktionären, Schwippschwagern – und trauernden Frauen, denn sie sind, jeweils verschachert nach dem mitgebrachten Erbe, die Verlierer unter den machtgeilen Männern. Langner ersetzt die Würde des königlichen Hofes durch eine schulterklopfende, misstrauische Bro-Mentalität; nicht nur der König schmuddelt vor sich hin in Bademantel oder schwarzem Leder, er ist umgeben von schrägen Typen, gierigen Yuppies, schielenden Mördern. Der historische Kontext wird zur reinen Folie für die Boshaftigkeit der Titelfigur, dem Prototyp des unbeirrbar nach Macht strebenden Menschen.

William Shakespeare schrieb dem missgestalteten Richard die schlimmsten Verbrechen zu: Er bringt kleine Kinder um und alte Frauen zu Fall, macht offensiv die Witwe eines Mannes an, den er gerade ermordet hat, er lügt, manipuliert und nimmt sich schamlos jede Frechheit heraus. „Ich könnte jemand erschießen und würde noch damit davonkommen“, soll der derzeitige amerikanische Präsident gesagt haben, der ebenfalls ständig die Regeln des zivilisierten Umgangs übertritt; Shakespeares Richard ähnelt selbstherrlichen Herrschern wie Trump, Erdogan oder Putin darin, dass er an keine Ideologie glaubt, sondern nur an sich selbst. Wohl erkennt man die Parallelen, wie sich der Kampf der herrschenden Elite nicht eine Minute ums Volk, sondern alleine um Weiterung und Erhaltung der eigenen Macht dreht – doch anderseits ist dieser Mittelalterkönig so viel raffinierter, so viel eleganter in seiner abgründigen Bosheit als etwa der schlechte Redner Trump.

Meist wird „Richard III.“ zur One-Man-Show, was einerseits an den großen Schauspielern liegt, die sich um die Rolle reißen, größtenteils aber doch am Stück, das wie eine gewaltige Tour de force hereinbricht und den Rest der Figuren fast an den Rand drängt. Fernsehstar Max Tidof, zum wiederholten Male zu Gast an den Schauspielbühnen, ist nur selten der hechelnde, geifernde Psychopath, er spricht oft leise und gemessen, er ist, in seiner genialen Bosheit ruhend, der Welt einfach kolossal überlegen – bis zu dem Punkt, wo er sich selbst zu Fall bringt. Tidofs Richard genießt weniger die Macht als die Manipulation; die Welt ist seine Spielwiese, weil er jeden lenken und einwickeln kann.

Dass es in diesem Fall doch keine One-Man-Show wird, dafür sorgt vor allem Gideon Rapp als sarkastisch-schmieriger Helfershelfer Buckingham, ein schlaksiger Emporkömmling. Überhaupt gelingt es dem Regisseur und seinem Ensemble bestens, die kurzen Auftritte höchst unterschiedlich zuzuspitzen: Reinhold Weiser, Martin Böhnlein, Marcus Born, Axel Weidemann und Serjoscha Ritz sind herrlich dumme Prolls oder harmlose Geschöpflein, versinkende Würdenträger oder Klischee-Verbrecher, jede Figur ist anders und die Pointen werden subtil über den Abend verteilt. Dass dem Stück die großen Frauenfiguren fehlen, mag in diesem Fall an den Schauspielerinnen liegt, denn weder Stephanie von Borcke noch Kim Zarah Langner vermitteln die Fassungslosigkeit, die Größe des Leids, den heiligen Zorn über die Monstrosität von Richards Taten. Das Schlussbild, als eine junge, ebenfalls verschacherte Prinzessin voll Wut die Königskrone zerbricht, ist etwas pathetisch geraten – aber bis dahin haben wir in deutlichen, heftigen Bildern verstanden, welch schrecklich Gut die Macht ist, wenn sie nicht erteilt wird, sondern an sich gerissen.

Bis 10. März täglich außer Sonntag.

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