Erfolgsduo auf Zeit: Der künstlerische Leiter Hans-Christoph Rademann (links) will die Bachakademie in die Zukunft führen, Intendant Gernot Rehrl verlässt sie Ende der kommenden Saison. Foto: Holger Schneider Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Stuttgart - Eine steile These, den alten Johann Sebastian Bach für die Freiheit zu reklamieren. Ein Querkopf mag der Meister aller Kontrapunktklassen zwar gewesen sein, aber wahrlich kein Protestler. Nur Protestant. Womit sich denn doch ein Bogen schließt zu der Freiheit, die die Bachakademie meint und zum Thema ihres diesjährigen Stuttgarter Musikfests vom 28. August bis zum 10. September macht. Gedenkt man anno 2017 doch des 500-jährigen Jubiläums der Reformation, und dabei spielt die Luther’sche „Freiheit eines Christenmenschen“ eine prominente Geige.

Einstein’sche Zeitklangreise

Der Freiheit eines Bach-Interpreten ist beim Musikfest die bewährte Reihe „Sichten auf Bach“ gewidmet, diesmal verbunden mit einer Art Einstein’schen Zeitklangreise durch die bachakademische Vergangenheit in die Zukunft, denn erstmals seit längerem stellt Helmuth Rilling bei der einst von ihm mitgegründeten und jahrzehntelang geprägten Institution wieder seine Bach-Sicht vor. Sein Nachfolger Hans-Christoph Rademann druckst ein bisschen herum bei diesem Programmpunkt („Ich hoffe, ähm, das funktioniert“). Was soll’s: Der Stabwechsel 2013 war alles andere als reibungslos - insofern eine noble Form der Vergangenheitsbewältigung, den Altmeister aufs Podium zu lassen.

Für die Zukunft ist Rademann zuständig. Seinen Ausführungen zufolge befindet sich die Bachakademie selbst - frei nach Luther und Mao Tse Tung - in einer permanenten Reformation; nämlich auf der fortwährenden Suche, wie man denn Bach machen, sprich: aufführen soll. Für den Originalklang-Fan Rademann am besten im ursprünglichen Klangbild, also mit großer Kirchenorgel. Was in Stuttgart und Umgebung mangels historischer Instrumente leider nicht möglich ist, wohl aber in der Naumburger Wenzelskirche, deren Orgel einst von Bach höchstselbst inspiziert wurde. Im September gastiert Rademann dort mit der von ihm zum Originalklang-Ensemble umformierten Gaechinger Cantorey - auch um die Möglichkeit künftiger CD-Aufnahmen zu checken.

Beim Musikfest schmiedet indes ein Instrument namens Violoncello da spalla die Speerspitze jüngster musikhistorischer Recherche. Sergey Malov schultert mit dem Fünfsaiter Solosuiten Bachs - im wörtlichen Sinn: Anders als das gemeine Cello wird die Da-Spalla-Variante nicht zwischen die Beine geklemmt, sondern auf die Schulter gelegt; just so, wie es laut aktuellem Forschungsstand Bachs Usus war.

Im Auftaktkonzert dirigiert Rademann das JSB Ensemble, den Nachwuchs-Klangkörper der Bachakademie, in der selten zu hörenden 1725er-Fassung der Johannespassion, darin der trefflich aufs Thema zu beziehende Choral „Durch dein Gefängnis, Gottes Sohn, muss uns die Freiheit kommen“. Mit der Gaechinger Cantorey präsentiert der Chef in zwei Kantaten seine Bach-Sicht, und die hat mittlerweile ein Renommee gewonnen, das ihr eine Einladung zum erlauchten Leipziger Bachfest bescherte - neben Cracks wie Masaaki Suzuki, John Eliot Gardiner oder Ton Koopman.

Weitere „Sichten“ steuern beim Stuttgarter Festival Konrad Junghänel und sein Cantus Cölln sowie Alexander Grychtolik und die Deutsche Hofmusik bei, letztere mit ihrer viel beachteten Rekonstruktion einer verschollenen Trauermusik Bachs. Im Abschlusskonzert setzt Rademann seine Serie mit Oratorien Händels fort: heuer der hochdramatische „Belshazzar“ um den Gott und dem Freiheitsthema gefälligen Sturz des gleichnamigen babylonischen Tyrannen.

Nebst etlichen Gesprächs- und anderen Veranstaltungen (zum Beispiel Sky du Mont mit einer Lesung aus den sehr freien Memoiren des Casanova) gibt es wieder die Reihe Bach.Lab mit jazzigen Barock-Weiterungen sowie eine Begegnung von alter und nagelneuer Musik mit dem Freiburger Barock-Consort und dem Ensemble Recherche im Cannstatter Szeneclub Wizemann - einer Location, die die Bachakademie für sich entdeckt hat.

Ebendort findet auch eines der Saisonkonzerte statt mit Frank Martins „Le vin herbé“, einer Version des Tristan-Stoff und für Rademann „eines der besten Stücke des 20. Jahrhunderts“. Die fünfteilige Abo-Reihe, wie gewohnt im Beethovensaal, bringt neben Klassikern - Bachs „Weihnachtsoratorium“ und Haydns „Jahreszeiten“ - Barockes zur Reformation, Modernes von Messiaen und Ligeti im Kontrast zu Händel und Bach sowie Vaughan Williams’ opulente „Sea Symphony“ mit Dennis Russell Davies als Gastdirigent.

Wohlklang in Zahlen

Und dann gibt es noch eine Abschiedssymphonie mit Wohlklang in Zahlen: Intendant Gernot Rehrl verlässt, wie berichtet, die Akademie Ende der Saison 2017/18, den Kennziffern zufolge hat er sein Haus gut bestellt - mit einer Budget-Steigerung von 4,5 auf 5,1 Millionen Euro dank Sponsoren-Akquise und stabilen Besucherzahlen. Wobei Rehrl kein Hehl aus den überwiegend gesetzteren Publikumssemestern macht. Doch nicht nur als Strategie gegen die Überalterung will man das Musikvermittlungsprojekt „Bach bewegt!“ verstanden wissen, sondern als soziokulturelle Initiative. Die Matthäuspassion als Schüler-Tanzaktion habe 100 keineswegs nur kulturaffine Jugendliche für Bach begeistert, versichert Rademann. Und: Der Ankerwurf ins Soziale greift auch in den sozialen Medien. Auf Facebook, so Rehrl, finde die Bachakademie ebenso Anklang wie mit ihren 100 Youtube-Clips. Bach klickt. Das wahre Zukunftsmotto?

Karten unter Tel. 0711/619 21 61, Abos unter Tel. 0711/619 21 32.

www.bachakademie.de