Foto: Frank Kleinbach/Stankowski-Stif - Frank Kleinbach/Stankowski-Stiftung

Die Ausstellung setzt Bilder von Lisa-Marie Pfeffel und vor dem Zweiten Weltkrieg entstandene Fotografien von Anton Stankowski in Bezug.

EsslingenEin kleiner Junge sitzt auf den Schultern seiner Mutter. Rechts daneben nimmt ein anderer kleiner Junge seinen großen Bruder auf die Schulter. Wie viel älter dieser ist, ist nicht ganz klar, denn der Blick fällt von oben auf die beiden, sodass der Größere auch perspektivisch größer erscheint. Dieses großformatige Aquarell stammt von Lisa-Marie Pfeffel, das Schwarzweißfoto daneben von Anton Stankowski. Bekannt als konkreter Grafikdesigner, der unter anderem das Logo der Deutschen Bank entwarf und in seinen geometrischen Motiven oftmals auch humorvolle Untertöne zu verstecken wusste, hat Stankowski vor dem Zweiten Weltkrieg zunächst als Fotograf gearbeitet. Dabei steht er der klaren Bildsprache der neusachlichen Fotografie, etwa von Alfred Renger-Patzsch oder Lucia und Laszlo Moholy-Nagy nahe. Pfeffel hat im vergangenen Jahr den Förderpreis der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen (KSK) erhalten. Stankowski ist der Künstler, dem die KSK über die Jahre hinweg am meisten verbunden war. Nun treten Kinderbilder beider Künstler in der Galerie der KSK in der Esslinger Bahnhofstraße in einen Dialog.

Pfeffels Aquarelle und Stankowskis Fotos sind so gehängt, dass zwischen ihnen Korrespondenzen erkennbar werden. Wie bei den beiden Huckepack-Trägern gibt es auch sonst Ähnlichkeiten und Unterschiede. Unterschiede sind zunächst, dass die Fotos schwarzweiß, kleiner und mehr als 80 Jahre alt sind, viele der Aquarelle dagegen groß, von einer blassen und doch bunten Farbigkeit und erst in den letzten Jahren entstanden. Was sie verbindet, ist, dass Stankowski wie Pfeffel keine Markenzwieback-Kinder zeigen: keine idealisierten Bilder einer Kindheit, wie sie nur in der Fantasie der Erwachsenen existiert. Selbst Pfeffels „Musterknabe“ mit grünen Augen im roten Pulli ist nicht perfekt. Wie viele der von ihr porträtierten Kinder hat er eine Zahnlücke. Zwei große Hände greifen nach seiner Schulter und seinem Haarschopf, so als würde er vorgeführt, als etwas präsentiert, was er gar nicht ist. Ähnlich scheint es sich bei einem kleinen Aquarell mit dem Titel „Triumph“ zu verhalten: Ein Junge in Sportkleidung hat vielleicht gerade einen Laufwettbewerb gewonnen. Hinter ihm geht ein anderer, legt ihm die Hand auf die Schulter – oder schiebt er ihn vor sich her, drängt ihn, eine Rolle zu spielen, die er sich nicht selbst ausgedacht hat?

Stankowski zeigt häufig Straßenjungen. Sie balancieren auf einem hölzernen Geländer; einer zieht den anderen auf einem flachen Karren mit Eisenrädern, der vielleicht aus einem Industriebetrieb stammt, hinter sich her. Der Fotograf zeigt sie von der Seite, schräg von hinten oder von vorn, mit etwas Abstand. Er scheint keinen Kontakt aufzunehmen, beobachtet nur. Die Jungen stammen aus ärmeren Verhältnissen, vielleicht ist es das, was er dokumentieren will. Vielleicht identifiziert er sich aber auch mit ihnen. Ein kleiner Junge, der nur eine kurze Lederhose trägt, kann sich gerade mal ein Eis vom Eisverkäufer leisten. Daneben hängt Pfeffels „Rosige Zeiten“: Der Titel spielt an auf die Farbe der Kleidung. Anders als bei Stankowski blicken ihre Kinder den Betrachter – oder die Künstlerin – aus großen Augen direkt an. Doch auch sie sind keine Püppchen, eher rotzfreche Bengel, sie haben ihren eigenen Kopf.

Die Korrespondenzen sind mal formal, mal inhaltlich. Drei Porträts eines etwas gequält wirkenden Mädchens im Sonntagsstaat stehen drei Babyköpfen gegenüber. Aber sie blicken stumpf, der offene Mund scheint nach Luft zu schnappen. Ihre Babyhaut ist keine intakte Oberfläche, die Aquarellfarbe bildet Flächen, die hart aneinander stoßen. Während Stankowskis Junge ganz klein vor dem Eisstand steht, nimmt Pfeffels rosa Engel daneben nur die linke untere Bildecke ein, so als wollte die Künstlerin andeuten, dass noch genug Platz zum Wachsen bleibt. Das Mädchen scheint sich aus dem Bild verdrücken zu wollen, als könne oder wolle sie das Format nicht füllen, das allem Anschein nach nicht für sie gemacht ist.

Diego Velazquez hat Kinder gemalt, die mit einer Schleuder gerade einen Singvogel vom Baum geholt haben. In Filmen von Wim Wenders kommen immer wieder Kinder vor, die eben nicht als verkleinerte Erwachsene auswendig gelernte Sätze aufsagen oder mit Piepsstimmen das Bild einer heilen Welt vorspiegeln, sondern glaubwürdig sind, ernsthaft wie Kinder, die ihre eigenen Ideen im Kopf haben. Stankowski scheint als Dokumentarist eher Velazquez nahe zu stehen, während Pfeffel wie Wenders, wenn auch auf andere Weise, die Kinder zwar ernst nimmt, aber in hellgelben und hellblauen Tönen, mit großen Kulleraugen doch wieder ein wenig idealisiert. „Sei kein Hasenfuß“ lautet der Titel des Bilds eines Mädchens, das in Jeans am Boden hockt und noch zu überlegen scheint, ob sie sich trauen soll oder nicht. Sie ist blond wie die Mehrzahl von Pfeffels Kindern. Aus dem Rahmen fällt ein Mädchen mit dunklen Haaren, bis um den Kopf in ein lila Gewand gehüllt. Vorn ragt eine Erwachsenenhand ins Bild. Der Titel „Meybod“ verweist auf eine iranische Stadt. Ein Mädchen, das zum Betteln an die Straße gesetzt worden ist und dem jemand eine Münze zuschnippt?

Bis 12. Juli. Öffnungszeiten: montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr.