Sebastian Röhrle (Teddy Brewster), Ferdinand Lehmann (O‘Hara), Christian Schneeweiß (Jonathan Brewster), Manolo Bertling (Mortimer Brewster) und Astrid Meyerfeldt (Dr. Einstein) auf der Bühne des Stuttgarter Schauspiels. Dort feierte am Wochenende das Stück „Arsen und Spitzenhäubchen“ Premiere. Foto: Stöß Quelle: Unbekannt

Bosse nivelliert den Humor auf einer exaltierten, schrillen Ebene und lässt kaum mehr Raum für Steigerungen. Der Wahnsinn ist zur bigotten, liebgewonnen Normalität geworden in dem mörderischen Haus.

Von Angela Reinhardt

Stuttgart - Gute Zeiten für alte Komödien, wenn allein der Satz „Er hält sich für den amerikanischen Präsidenten“ einen Lacher zeitigt. Mit dem derzeitigen Amtsinhaber ist dem knapp 80 Jahre alten Broadway-Lustspiel von Joseph Kesselring ein Knallbonbon in den Schoß gefallen, das die Produktion des Staatsschauspiels munter als Running Gag vor sich her treibt. Das tiefschwarze Erfolgsstück über zwei alte Damen, die aus Mitleid einsame Herren um die Ecke bringen und sie von ihrem - siehe oben - stark verwirrten Neffen im Keller beerdigen lassen, ist mit Cary Grant zum legendären Filmklassiker geworden. Er spielte den einzigen halbwegs Normalen in der mörderischen Familie, ironischerweise einen Theaterkritiker, was Kesselring zu ein paar hübschen (und erstaunlich verständnisvollen) Seitenhieben auf die bösen Federn im Parkett inspirierte.

Die gutbürgerliche Idylle hat jede Menge Leichen im Keller versteckt und unterscheidet sich nur in der freundlichen Fassade von den echten Verbrechern - mit beachtlicher Lawinentechnik wächst sich Kesselrings Ansatz von einer milden Ironie zur turbulenten Hysterie aus. Jan Bosses Inszenierung ist fest entschlossen, sich großartig zu amüsieren, und platzt, anstatt ahnungslos in das alsbald wüst entgleitende Vorstadtidyll hineinzutänzeln, mit einer brachialen Komik in den Abend. Der Dauerbeschuss an exaltierten Gags verpufft zunächst, denn an den grellen Humor muss man sich erst gewöhnen; im Lauf des Abends wird nie ganz klar, ob wir durch bewusst exaltierte Pointen zum Nachdenken über das billige Lachen aufgefordert werden oder vielleicht einfach Lichtjahre vom Humor dieses Regisseurs entfernt leben.

Natürlich ist es ein lustiger (naja: leidlich lustiger) Abend, schließlich sind manche von Kesselrings Dialogen unverwüstlich, aber immer wieder sorgen ausgedehnte Wüsteninseln für ein Verstummen des freundlichen Dauerglucksens, vor allem wenn die echten Gangster an der Reihe sind. Bosse nivelliert den Humor des Stücks auf einer exaltierten, schrillen Ebene und lässt so kaum mehr Raum für Steigerungen - als hätte er versucht, die „fatale Mischung aus Ambition und Infantilität“ hinzukriegen, die Theaterkritiker Mortimer irgendwann für eine Premiere vorformuliert, die er noch gar nicht gesehen hat. Hier ist schon die bürgerliche Idylle völlig schräg, die auf einem schmalen Streifen vor einer riesigen Wand mit zwei steilen Treppen spielt. Die Ausstatter Moritz Müller (Bühnenbild) und Kathrin Plath (Kostüme) tauchen alles in die hässlichen Farben der 70er- Jahre, Türkis und Lila, Braun und Rosé; die Kleider der Damen geraten ausnehmend schlimm.

Routiniert wirft die Regie Kunstgriffe aus dem Verfremdungsrepertoire ein, immerhin mit geschicktem Timing: Mal spricht Mortimer die Regieanweisungen mit, mal leiern die Dialoge wie eine hängende Schallplatte, mal springen sie ins Englische oder werden aus dem Off eingespielt, während die Drehbühne um sich selbst kreiselt und ein Meer von Särgen hinter der Fassade enthüllt. Manchmal ergeben sich aus dem Text heraus spontane Explosiönchen wie die überzogenen Reime auf den Namen „Elaine“, dann aber werden wieder ausgepolsterte Leichen herumgewuchtet und böse gequetscht, wir hören überzogene Dialoge und sehen überlebensgroße Posen.

Darunter leiden nicht so sehr die beiden älteren Damen - Rahel Ohm und Marietta Meguid machen aus den tütteligen Spitzenhäubchen des Films zwei coole, abgebrühte Seniorinnen -, aber die Nebenfiguren driften ins Klischee ab. Mortimers Plaudertaschenbraut Elaine wird bei Lea Ruckpaul zum überkandidelten Blondchen, das ständig in vorgefertigte Posen fallen muss. Die große Astrid Meyerfeldt ist als Ganove im Grunde ein Totalausfall, ihre Szenen mit dem umoperierten dritten Neffen Jonathan (Christian Schneeweiß) bleiben weitgehend witzfrei. Sebastian Röhrle trägt als Möchtegernpräsident die zu lange rote Trump-Krawatte und spielt, Achtung Kalauer, Trumpete, er schreit „Fake!“ und sogar den ominösen Twitter-Fehltritt „Covfefe“ haben sie gewinnbringend untergebracht. Wie man auch kleine Rollen mit subtilem Witz ausstatten kann, zeigen Ferdinand Lehmann und vor allem Michael Stiller.

Der Wahnsinn ist zur bigotten, liebgewonnen Normalität geworden in dem mörderischen Haus, das System funktioniert perfekt: nur deshalb hebt sich die zunehmende Hysterie des einzige Normalen so herrlich davon ab. Regisseur Bosse aber hat die Balance verschoben, bei ihm ist schon die Normalität exaltiert - deshalb muss Mortimer noch aufgeregter werden, was Manolo Bertling mit einem elastisch-federnden Bewegungsstil ganz wunderbar gelingt. Er tänzelt, flötet und stottert, kämpft mit dem Telefon und seiner Zunge, manchmal prallt er wie ein Flummi von den Möbeln oder vom Boden ab und lässt als fast einziger die Zehenspitzen-Leichtigkeit der Boulevardkomödie erahnen, ein Meister der Feindosierung inmitten der kolossalen Überdosis.

Weitere Termine: 15., 18., 24., 29. Juni, 1., 9. Juli.