Kollektive Attacken vor Tizians nackter Venus: Das Tanztheaterstück Foto: Jesús Robisco - Jesús Robisco

Das synästhetische Bildertheater des spanischen Choreografen Marcos Moreau und seines Künstlerkollektivs ist visuell überwältigend, bleibt aber rätselhaft bis zum Schluss.

LudwigsburgSchwierig wird’s, wenn der Tanz nicht ohne Gebrauchsanweisung verständlich ist. Bei der spanischen Performance-Gruppe La Veronal geben erst mehrere Seiten Programmheft-Text einen Fingerzeig, worauf das Gastspiel in der Tanzreihe des Ludwigsburger Forums am Schlosspark abzielt: auf den Menschen, der sich in Bildern verewigt und, um sein eigenes Rätsel zu lösen, die Abbildungen anderer Menschen betrachtet. Als Gemälde und Statuen, in der Erinnerung, in Zukunftsprojektionen – nie objektiv, sondern in jeder Minute beeinflusst von den Umständen, der jeweiligen Erfahrung.

Die italienische Stadt Siena, nach der das 70-minütige Tanztheater benannt ist, hat vordergründig wenig damit zu tun; mehrere der Stücke der katalanischen Avantgarde-Kompanie heißen nach Orten oder Städten, und dieses Stück nimmt seinen Ausgang in der italienischen Renaissance. In einem weiten, schönen Museumsraum sitzt eine Frau vor einem Gemälde mit einer liegenden Nackten; es ist Tizians „Venus von Urbino“. Von allen Seiten strömen nun Eindrücke auf uns ein: in den Bildern von Fechterinnen, die im Saal zum Kampf antreten – mit dem Museumswärter als Schiedsrichter und Schicksalsordner des Stückes – und danach immer wieder schön-geheimnisvolle Duos tanzen; im Bild einer Totenbahre, die leitmotivisch durchs Museum geschoben wird. Die Tote darauf ist die Frau vor dem Bild. Aus dem Off erklingen Musik und vor allem Texte, meistens in Englisch, manchmal auch auf Spanisch oder Italienisch, etwa eine Rede des „Duce“ Benito Mussolini. Unterbrochen werden die Dialoge oder Einspielungen durch kurze Applaus-Salven, Telefonklingeln, andere Geräusche.

Tizian-Bild mal anders

Ein Unfall wird geschildert, dann beschreibt der Audio-Guide eines Museums das Tizian-Bild, aber mit konträrem Inhalt: Statt der weißen Frau liegt da ein nackter schwarzer Mann, statt des Hundes ein Kätzchen und so fort. Bilder und Klänge ploppen wie Zeitschleifen auf, das Stück kehrt ständig zu sich zurück, und die Bildbetrachterin vom Anfang begegnet sich in kurzen Visionen ihrer Vergangenheit oder Zukunft immer wieder selbst – bis der Tizian plötzlich verschwunden ist und im leeren Raum dahinter ihre eigene Leiche aufgebahrt liegt. Lauert hinter den Bildern, die wir uns machen, nur der Tod?

Das synästhetische Bildertheater des spanischen Choreografen Marcos Moreau und seines Künstlerkollektivs ist visuell überwältigend, keine Frage, aber es bleibt rätselhaft bis zum Schluss. Der Tanz spielt zwischen Bildern, Texten, Musik und Lichteffekten nicht unbedingt die wesentliche Rolle, wirkt manchmal fast illustrativ. Sogar den Tod visualisieren wir uns, bevor wir sterben, bedeutet uns La Veronal (benannt übrigens nach einem Schlafmittel): Aus dem Leichensack schält sich ein dunkler, gesichtsloser Schatten, reicht der Betrachterin die Hände und umarmt sie. Das ist nun wirklich ein starkes Bild.

Das nächste Tanzgastspiel im Forum Ludwigsburg: Nederlands Dans Theater mit Choreografien von Marco Goecke, Crystal Pite, Sol Leon und Paul Lightfoot vom 7. bis 9. Dezember.

forum.ludwigsburg.de