Der Knüller: „El criterio del camello“ („Das Kriterium des Kamels“) von George Céspedes. Foto: Adolfo Izquierdo - Adolfo Izquierdo

Rasant und mit unbändiger Energie zeigte die Truppe Danza Contemporánea de Cuba im Ludwigsburger Forum, dass es auf der Castro-Insel sehr modernen Tanz gibt.

LudwigsburgBei kubanischem Tanz denkt man an Mambo und Salsa, hört die Rhythmen des „Buena Vista Social Club“ und sieht lasziv wackelnde Hüften. Tatsächlich hat Fidel Castros Insel mitsamt dem real existierenden Sozialismus einst auch die sowjetische Balletttradition importiert und bringt bis heute reihenweise Virtuosen dieser Kunst hervor. Dass es neben karibischem Hüftschwung und klassischem Ballett auch eine sehr moderne Seite des kubanischen Tanzes gibt, zeigten an drei ausverkauften Abenden im Ludwigsburger Forum die rasanten Tänzer von Danza Contemporánea de Cuba.

Unendliche Energie

Es mag tatsächlich an der politischen Favorisierung des Balletts in Kuba liegen, dass wir in den 60 Jahren ihres Bestehens kaum von der Kompanie gehört haben; nach Europa geholt hat sie nun Meinrad Huber, der Kurator des Stuttgarter Colours-Festivals. Choreografisch können die modernen Kubaner unbedingt mithalten mit ihren hiesigen Kollegen, in ihren Tänzern brennt geradezu eine unendliche Energie. Am vertrautesten sah noch das Stück eines Gastes, der Britin Fleur Darkin aus: In einem sehr zeitgenössischen, eher von der weichen Ästhetik der Contact-Improvisation durchgeistigten als wirklich spannungsgeladenen Vokabular untersuchte sie in „Equilux“ den Weg des Menschen von der animalischen Urform zu einer in sich ruhenden Existenz.

Tanzt man in Kuba nur in großen Gruppen? Die drei Stücke ähnelten sich stark, immer war das ganze Ensemble im Einsatz, sehr oft in Unisono-Bewegungen frontal zum Publikum. Genau wie Darkin nahm auch Julio César Iglesias Ungo den Kreis, die in der Mitte geballte Menge als Ausgangspunkt. Trotz Ohrfeigen und Bockspringen, trotz minutenlanger „Ha!“-Schreie wie aus den Kampfkünsten blieb sein „Coil“ doch insgesamt recht repetitiv in der Struktur, aus den ritualhaften Wiederholungen wollte nichts Bedeutungsvolles aufsteigen.

Toben, rocken, sich überschlagen

Der Knüller kam zum Schluss: In „El criterio del camello“ („Das Kriterium des Kamels“) ließ George Céspedes, einer der Hauschoreografen von Danza Contemporánea, Betriebssport-artige Formationen aufmarschieren, fächerte geometrisch-exakte Menschenlinien auf, führte sie zu martialischen Rhythmen ineinander und durcheinander, was an die gleichförmigen, immer wieder durch minimale Änderungen irritierten Formationen der israelischen Erfolgschoreografin Sharon Eyal erinnerte. Bei Céspedes aber brach nach einer bedeutungsschwangeren Stille der Individualismus aus, worauf die Tänzer zwar weiterhin in Gruppen, aber in völlig freien Bewegungen über die Bühne tobten, rockten, sich überschlugen, fast wie die Kinder spielten. Vielleicht ist es gerade die Spannung zwischen dem durchaus spürbaren Glauben der Kubaner an ihre Gesellschaftsform und dem Ausbruch daraus, die diesen Tanz so aufregend macht.