Foto: Marco Borggreve Quelle: Unbekannt

Von Dietholf Zerweck

Ludwigsburg - Das Lobwort „lebende Legende“ wird im Musikbetrieb inflationär gebraucht. Schon alternde Rockstars werden so vermarktet, und auch im Klassik-Sektor verhilft das zu Popularität. Doch Menahem Pressler, der 1923 in Magdeburg geborene, 1939 nach Israel emigrierte Pianist, der über ein halbes Jahrhundert im berühmten Beaux Arts Trio wirkte, ist wirklich eine lebende Legende. Seit der Auflösung des Trios 2008 ist Menahem Pressler immer noch in Solo-Recitals und Klavierkonzerten zu erleben. Bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen wurde er bei seinem Klavierabend im vergangenen Jahr begeistert gefeiert.

Für seinen jetzigen Auftritt im Ludwigsburger Ordenssaal hat sich der 93-Jährige ein Mammutprogramm aufgeladen. Händels Chaconne G-Dur und ihre 21 Variationen tönen - leider vom Säuseln eines Ventilators begleitet - wie aus einer anderen Zeit, als der Begriff „historische Aufführungspraxis“ noch ein Fremdwort war.

Ehrfurcht und Mühe

Bei Mozarts Fantasie und Sonate c-Moll spürt man Presslers Gestaltungswillen, doch manchmal hakt die linke Hand, die Läufe verschleifen im Pedal, der Höreindruck schöpft aus der Erinnerung, ist von Ehrfurcht und Mühe getragen. Die Liebenswürdigkeit aber, mit der Pressler - diesmal nicht im Rollstuhl, sondern gestützt und geführt von der früheren Konzertmanagerin Lady Annabelle Weidenfeld - den Beifall entgegennimmt, hat etwas Rührendes. Die Verehrung, die ihm entgegenschlägt, äußert sich in lang anhaltendem Applaus. Fünf Préludes von Debussys sind interpretatorisch von hohem Rang: von impressionistischer Farbigkeit die „Voiles“, den komplexen Klängen nachsinnend und die Akkordcluster mächtig artikulierend „Die versunkene Kathedrale“, voll feiner Abstufungen die „Rêverie“.

Draußen schlägt die Glocke zehn Uhr, und noch will Menahem Pressler sechs Mazurkas von Chopin spielen. Auch das bewältigt er bewundernswert, dann hilft ihm Lady Weidenfeld aus dem mit Kissen gepolsterten Klavierstuhl, man reicht ihm den Gehstock. Doch am Rand des Podiums kehrt er um, nimmt noch einmal Platz am Steinway, und Debussys „Clair de lune“ schwebt verklärend hinauf ins barocke Deckenfresko des Saals.