Patricia Kelly sorgt für Gänsehaut-Stimmung. Foto: Lichtgut/Julian Rettig - Lichtgut/Julian Rettig

Zum Konzertauftakt lassen sie es ordentlich krachen – aber die Kelly Family kann auch noch ihre Markenzeichen von einst: gefühlvolle Balladen und Pop-Folk.

StuttgartDie Gipfelstürmer sind zurück im Neckartal. Mit „Over the Hump“ (Über dem Berg), ihrem erfolgreichsten Album von 1994 im Rucksack, ist die Kelly Family derzeit wieder auf Tour. Jetzt machten die Kellys am Wasen Station. Die Hütte war rappelvoll, und beim Auftritt der wiedervereinten, wenn auch im Vergleich zu damals verkleinerten Familien-Band in der ausverkauften Schleyerhalle wurden auch gleich ein paar weihnachtliche Lichtlein angezündet.

Der Erfolgstitel „Over the hump“ hat sich vor einer Generation noch eher wie ein frommer Wunsch Daniels, des weißbärtigen Patriarchen des irisch-amerikanischen Musikerclans, gelesen. „Über dem Berg“ – das waren die irisch-amerikanischen Straßenmusiker trotz etlicher Hitparaden-Erfolge seinerzeit wirtschaftlich noch nicht. Im bunten Familienbus tingelte die Patchwork-Familie mit der biblischen Kinderschar quer durch Europa und musste lange auf Straßen und Plätzen eher hartes Künstlerbrot kauen, bevor es von den Fußgängerzonen in die Stadien ging.

Über dem Berg

Praktisch über Nacht hat sich das Leben der Kelly Family mit dem Album, das jetzt in der ersten Konzerthälfte noch einmal durchgespielt wurde, vollkommen geändert: Mit „Over the hump“ war die singende Sippe, die mit ihren wallenden Hippiegewändern schon ästhetisch ein Gegenmodell zum Pop-Mainstream der Neunziger darstellte, kommerziell tatsächlich überm Berg – rund 3,5 Millionen Mal verkaufte sich dieses Album.

Und nun, 25 Jahre später, reibt man sich noch einmal Augen – und Ohren. Im schwarzen 70er-Glamrock-Anzug lässt es Joey Kelly beim Konzertauftakt gleich ordentlich krachen, schüttelt mit grimmiger Miene die offene Mähne in bester Metal-Manier wild umher, und bei „The Wolf“ tigert der Extremsportler mit funkelnden Augen und furchteinflößendem Geheul über die Vorbühne, während hinter ihm der Video-Wald lichterloh brennt. Später gibt dann „Nesthäkchen“ Angelo, inzwischen auch schon ein Enddreißiger, bei seinem furiosen Drum-Solo ebenfalls den Headbanger.

Aber die Kellys können noch ihre Markenzeichen von einst – gefühlvolle Balladen und Pop-Folk. Nach „Father‘s Nose“ – Frontsängerin Kathy muss sich auch in Stuttgart aufgrund ihrer angeschlagenen Stimme mit der Rolle als Instrumentalistin begnügen – sorgt Patricia mit „First time“ das erste Mal für Gänsehautstimmung und Handylichteralarm. „Cover the road“ widmet Jimmy wenige Augenblicke später denen, die seit dem ersten großen Erfolg nicht mehr am Leben sind; er dreht sich dabei mit seiner Akustikgitarre vom Publikum weg und schaut auf die Bühnenleinwand, auf der eingesandte Fotos von verstorbenen Fans zu sehen sind – älteren wie noch jungen. Mit Luke und Lilli zaubern zwei Vertreter der dritten Kelly-Family-Generation vorweihnachtliche Stimmung in die Halle.

Laut rieselt der Schnee

Eher laut rieselt der Schnee, als ihr Onkel, „Rosenkavalier“ John („Roses of Red“), das durch Bing Crosby unsterblich gewordene „I’m dreaming of a white Christmas“ rockig anrauht. Und auch der Senior unter den Brüdern, Paul, der in der neu formierten Familienaufstellung zumindest optisch unverkennbar immer mehr die Stelle des 2002 verstorbenen Clanführers Dan einnimmt, hat seinen prominenten Auftritt – mit einer lustig anzuschauenden Performance eines irischen Standards („The Star of the County Down“), bei welcher der bärtige Mützenmann mit Kilt keck über den Bühnensteg steppt.

Natürlich dürfen bei diesem Fest für die ganze Familie die größten Hits auf dem musikalischen Gabentisch nicht fehlen. Neben „An Angel“ und „Nanana“ gibt es als Zugabe mit „I can’t help myself“ und „Fell in love with an alien“ zwei weitere Kelly-Klassiker, ehe ganz am Ende Jimmy die verzückten Fans wieder auf den Boden der nackten tröstlichen Tatsachen zurückholt. „Auch wir sind nur eine ganz normale Familie – wie die kaputten Nachbarn von nebenan“. Aber was heißt hier „We had a dream“: Der Comeback-Traum ist noch nicht zu Ende geträumt. Im neuen Jahr gibt es bereits Zusatztermine.