Pause, Pointe – und es flutscht bei Rolf Miller. Foto: Sandra Schuck - Sandra Schuck

Einen prolligen Spießer bringt der Kabarettist Rolf Miller in seinem neuen Programm „Obacht Miller“ auf die Bühne – samt politisch unkorrekten, aber entlarvenden Ressentiments. Anlass zum Lachen – und Fremdschämen.

Stuttgart Frauen über 40 gibt’s – man muss es mögen.“ Ein Teil des Publikums feixt, der andere schnaubt. Rolf Miller sitzt in breitbeiniger Selbstgefälligkeit eines prolligen Durchschnittsbürgers auf der Bühne in der Stuttgarter Rosenau und präsentiert im brechend vollen Saal seine polarisierende Scheuklappensicht auf die Welt. „Der Mensch ist frauenfeindlich“, weiß Millers ausgefeilte Kunstfigur. Lässig darf sie auf dem Kneipenstuhl lümmelnd Sätze sagen, die eine Zumutung sind: „Alle Menschen sind gleich. Die Ausnahme hat die Regel.“ Das Publikum lacht.

Es ist das kleinbürgerliche Denken eines Halbgebildeten, der nichts Genaues weiß, aber dazu eine dezidierte, politisch unkorrekte Meinung hat: Frauen, Flüchtlinge, Fußball, Klima, Homosexualität. Es sind Stammtischparolen, Wortschablonen, in dicken Lettern gelesener Informationsschrott, den der vielfach ausgezeichnete Kabarettist Miller seinem Kunst-Miller in den Mund legt. Selten werden die Sätze vollendet. Ist auch nicht nötig. Stichworte, Schlagzeilen mit dem leichten Odenwälder Zungenschlag rausgehauen, genügen. Er parkt einen Satz in der Luft, ähnlich perfekt, wie einst Dieter Hildebrand. Pause. Pointe. Das flutscht. Die Hälfte des Programms findet in den Köpfen statt. Man darf sich seiner eigenen, kleinen Vorurteile bedienen und keiner kriegt’s mit. Miller liefert die Steilvorlage.

In der Riege von Millers Durchschnittsspießbürgern sind d’r Achim und d’r Jürgen zentrale Figuren, Brüder im Geiste und am Stammtisch, die nicht nur im Diesel mitfahren. Übrigens auch so ein „böses Wort“, wie Schwarze. Darf man nicht mehr sagen. „Ist negerfeindlich.“ Er kickst sein meckerndes Lachen und beugt sich dabei verschwörerisch so weit ins Publikum, dass man fürchtet, er kippt gleich vom Stuhl. Einen Arm lässig auf das Knie gestützt, macht er alle zu Komplizen. Man ist ja unter sich und wird das schließlich auch mal so sagen dürfen. Wenn was ganz Brisantes kommt, wippt er nervös mit dem rechten Bein, wie ein aufgeregter Pennäler vor der Prüfung. Ist’s ausgespuckt, lehnt er sich in bräsiger Selbstherrlichkeit zurück, die trainierten Oberarme primatenhaft über den Kopf nach hinten gereckt, sodass sich die Haut unterm Kinn quer fältelt.

Er liefert die Stichworte für die Alltagsgeschichten, die in einfachem Lochmuster gestanzt sind und doch so hinterhältig-raffiniert daherkommen. Am Ende des Programms wird er sagen: „Der Mensch ist ganz normal, und das ist das Problem.“ So wie Jürgen, der freimütig bekennt: „Ausländerfeindlich war ich schon vorher. Da hätt’s die Flüchtlinge gar nicht gebraucht.“ Damit bestätigt er eine reaktionäre Weltsicht, die in vielen Köpfen steckt und bringt das Publikum in die Bredouille. Lachen oder fremdschämen? Allgemeinplätze und Redewendungen setzt Miller, der 25 Jahre in Stuttgart gewohnt und dort Literatur und Philosophie studiert hat, vermeintlich sinnfrei neu zusammen: „Wenn blöd, dann g’scheit.“

Miller witzelt über „glutenfreie Ingwergesichter“. „Merkeln“ steht bei ihm für „nichts machen“. Macron, Trump und Johnson werden kurz in „Two and a half men” zusammengefasst. Und Brexit klingt nach Katzenfutter. Die vergangene WM ist dem bekennenden Fußballfan Miller wichtiger. Die deutsche Mannschaft kickte so schlecht, dass die Spielart gar nicht klar war. Er überlegt: War das „Paralympics für Gesunde“ oder der Film „Männer, die auf Bälle starren“? Die Zuhörer sind die bereitwilligen Opfer des trivialen Lautangriffs, die sich die erlittenen Zumutungen lauthals von der Seele lachen. „Das ist Humor. Einwandfrei.“

„Obacht Miller“ ist wieder am 19. November, 20.15 Uhr, im Stuttgarter Theaterhaus zu sehen.