Foto: Simon Granville - Simon Granville

Mehr Tanz als bisher, viel Beethoven und Schostakowitsch, eine Grenzüberschreitung zu den Einstürzenden Neubauten: Das sind die Eckpunkte im ersten Programm Jochen Sandigs.

LudwigsburgAuf den Stehtischen im Ludwigsburger Palais Graevenitz liegen kleine, bunte Karten. „World Human Forum“ steht auf ihrer Rückseite: Das ist die Institution, die Jochen Sandig mit aufgebaut hat. Mit ihr will der in Esslingen geborene, jetzt aus Berlin kommende neue Intendant der Ludwigsburger Schlossfestspiele (wir berichteten) die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen unterstützen. Auf der Vorderseite der Karten liest man, was die Gesellschaft anstreben sollte: Armut beenden, Ernährung sichern, Bildung für alle, Klimawandel bekämpfen, Gleichstellung der Geschlechter und vieles mehr. Wichtige Themen. Was aber haben sie mit einem Festival zu tun?

Konzept: Nachhaltigkeit

Der Kulturmanager Sandig hat nie die Kunst als Blase verstanden. Deshalb stellte er am Freitag mit den Eckdaten seines ersten Ludwigsburger Festspielprogramms auch das Konzept dahinter vor: „Wir möchten als Kulturträger daran mitwirken, dass die Nachhaltigkeitsziele der UN bekannter und umgesetzt werden.“ Wie ungewöhnlich diese Idee ist, erhellt schon die Tatsache, dass der Bundestag tags zuvor eine einmalige Projektförderung von drei Millionen Euro für das Festival beschlossen hat. Sandig, strahlt, als er das erzählt. Dann zeigt er auf das knallbunte Werbeplakat, auf dem der Grafiker Daniel Wiesmann den Schlossfestspielen eine neue, bunte Optik verleiht. Die Farben der Karten kommen alle darauf vor, und die Anmutung ist (mit dem Konterfei der Dirigentin Alondra de la Parra, die als Gast das Festspielorchester dirigieren wird) betont weiblich. Die Aufschrift „Ludwigsburg Festival“ neben dem nun dreigeteilten Kompositum Schloss/Fest/Spiele kündet vom betont internationalen Blick. Dabei fällt Jochen Sandigs Programm, das bei etwa gleich gebliebener Veranstaltungszahl auf acht Wochen konzentriert wird, gleichsam mit der Tür ins Haus: Gleich am ersten der acht Festival-Wochenenden (7. bis 9. Mai) bringt die Ehefrau des Intendanten, die Choreografin Sasha Waltz, ihre schon vielerorts gezeigte, 2005 entstandene Version von Henry Purcells „Dido and Aeneas“ ins Forum am Schlosspark. „In meinem ersten Jahr hier“, so Sandig, „war eine Neuproduktion noch nicht möglich.“ Als Koproduktion mit dem Podium-Festival Esslingen wird zwei Mal die „Pixelsinfonie“ zu erleben sein, ein „Musiktheater für 30 Hotelzimmer“, bei dem sich Beethovens „Pastorale“ aus Einzelklängen zusammensetzt, die aus geöffneten Fenstern auf die Straße tönen.

Die Musiker, die man anschließend in ihren Räumen besuchen kann, gehören zum Festspielorchester. Dessen „ungeheure Begeisterung“, betont Sandig, sei für das Festival wichtig; dennoch soll es „zunächst“ keinen neuen Chefdirigenten geben, und man wolle bei diesem Kollektiv „die Menschen hinter der Masse zeigen“, also die Orchestermitglieder auch solistisch einsetzen. „Die finanzielle Lage“, so der Intendant, „ist angespannt, und es ist für mich eine große Herausforderung, nicht nur künstlerisch, sondern auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein.“

Tanz und Einstürzende Neubauten

Mehr Tanz wird es zukünftig geben. 2020 kommt schon mal das Tanztheater Wuppertal mit Pina Bauschs „Vollmond“. Das Mandelring-Quartett wird an fünf Abenden Schostakowitschs 15 Streichquartette spielen, die Sopranistin Marlis Petersen gibt mit dem Sirius-Quartett einen Abend zwischen Barock, Klassik und Improvisation, Sandig selbst bringt seine Inszenierung von Brahms’ „Deutschem Requiem“ als Auswärtsspiel in die Stuttgarter Liederhalle. Und am Ende gibt es, „weil es uns um die Musik als Ganzes geht“, sogar ein Konzert der Einstürzenden Neubauten. Die „unsichtbare Mauer in den Köpfen der Menschen“ mit neuen Konzepten, Formaten und Mischungen zu durchbrechen, ist hohes Ziel des neuen Intendanten. Es wäre durchaus auch ein Nachhaltigkeitskärtchen wert. Aber, sagt Jochen Sandig: „Bitte erwarten Sie nicht alles schon im ersten Jahr. Wir haben noch fünf Jahre vor uns.“

Dauer: Das Festival wird auf acht Wochen verkürzt (7. Mai bis 28. Juni).

Höhepunkte: Purcells „Dido and Aeneas“ in Sasha Waltz’ Choreografie von 2005 (drei Vorstellungen vom 7. bis 9. Mai). Sämtliche Streichquartette von Dmitri Schostakowitsch mit dem Mandelring Quartett (fünf Konzerte zwischen dem 5. und 17. Mai). Pina Bauschs „Vollmond“ (drei Vorstellungen vom 28. bis 30. Mai). Jochen Sandigs „Human Requiem“ zur Musik von Brahms’ Requiem (zwei Vorstellungen am 24. und 25. Mai). Jan Lisiecki und das Chamber Orchestra of Europe mit Beethovens fünf Klavierkonzerten (zwei Konzerte am 12. und 13. Juni). Einstürzende Neubauten am 21. Juni.

Karten: ab sofort unter der Telefonnummer 07141/93 96 36 oder unter www.schlossfestspiele.de