Von Dietholf Zerweck

Ludwigsburg - „You are lucky tonight!“ ruft Salif Keïta seinem Publikum im knapp zur Hälfte gefüllten Ludwigsburger Forum zu, denn Virginie habe heute Geburtstag. Sie ist eine der beiden malischen Sängerinnen und Tänzerinnen, die in der letzten Stunde jeden von Keïtas Songs begleitet haben, während die Zuhörer still und bewegungslos auf ihren Sitzen klebten. Während Keïta hinter seiner schwarzen Sonnenbrille pausenlos und ohne jede Ansage mit seiner Band explosive Musik machte, hätte man sich eher in einen Club oder eine Fabrikhalle der Banlieues von Paris gewünscht, wo er öfter auftritt. Egal, ob Virginie nun wirklich gerade an diesem Tag im Forum Geburtstag hat: Keïtas Appell ans Publikum wirkt Wunder. Jung und Alt erheben sich von ihren Plätzen und beginnen in den Stuhlreihen zu tanzen.

Salif Keïta, in Mali als Spross einer alten Adelsfamilie geboren, doch als Albino und Griot-Sänger doppelter Außenseiter in der Gesellschaft seiner Heimat, kam nach der Unabhängigkeit Malis 1960 durch seine Lehrer mit amerikanischem Blues in Berührung und spielte in Bamako als Leadsänger in der von der Regierung finanzierten Rail Band, wo er den traditionellen Jeli-Gesang mit dem Stil eines John Lee Hooker, Ray Charles und Lightnin‘ Hopkins mischte. In den 1970er-Jahren wechselte er zu den vom Polizeichef der Hauptstadt protegierten Les Ambassadeurs und ging dann wegen politischer Unruhen mit der Band ins Exil nach Abidjan, der Hauptstadt der benachbarten Elfenbeinküste. 1984 wagte er den Sprung nach Europa, in Paris fand er in seiner Musik zurück zu einer Identität als westafrikanischer Musiker, dessen Traditionen sich auch im Rahmen von Jazz und Ethno-Pop behaupten.

Das helle Stakkato von Keïtas litaneiartigen Gesängen emanzipiert sich sofort aus den simplen melodischen Floskeln, die Abou Cissé gesampelt seinem Synthesizer entlockt. Der Drummer Mamadou Diabaté aus Kamerun schlägt dazu einen harten, sehr variablen Beat, Djessou Mory Kanté pendelt auf seiner Gitarre zwischen harmonischen Bässen und melodischen Einwürfen, und der junge Molobaly Koné akzentuiert mit den maschinengewehrartigen Salven seiner Handtrommeln die Stimmungswechsel innerhalb der Songs. Immer wieder explodiert Keïta in eines seiner sich überschlagenden Chants, von denen man so gerne wüsste, was die Texte aussagen. Als Jägerbarde der westafrikanischen Völker der Mandé versteht er sich als Künder der Lebensenergie, und in vielen seiner Lieder gibt es diesen als Freiheitsdrang interpretierbaren Impuls. Virtuoser, von Jazzimprovisation inspirierter Partner ist der Kora-Spieler Mamadou Diabaté, der Keïta auch bei seinem einzigen Duo auf seiner mit beiden Händen gezupften Saitenlaute begleitet. Hier kommt das aus wenigen Akkorden gebildete Ostinato nicht vom Synthesizer, sondern von Keïtas akustischer Gitarre. Danach, beim poppigen, von den Sängerinnen lauthals gekrähten „Africa“, ist es wieder diese tranceartige Mischung von Quarten und verminderten Terzen, glitzerndem Schwirren von Kora-Saiten und attackierendem Gesang, welche die Zuhörer in Begeisterung versetzt.