Chefdirigent Pietari Inkinen öffnet die Tür zu Wagners Kosmos. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Dietholf Zerweck

Ludwigsburg - Zwei Wagner-Opern mit ungekürzt über acht Stunden reiner Spielzeit auf einen Konzertabend eindampfen, allein mit den beiden Protagonisten Siegfried und Brünnhilde in ihrem Drama einer ausweglosen Liebe - geht das? Chefdirigent Pietari Inkinen und das Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele haben es zum Festspiel-Finale versucht und mit einem interessanten Querschnitt durch „Siegfried“ und „Götterdämmerung“, die beiden letzten Opern der „Ring“-Tetralogie, eine eigene Erzählung gefunden, enthusiastisch bejubelt vom Publikum.

Die beiden Solisten, der neuseeländische Tenor Simon O’Neill und die amerikanische Sopranistin Lise Lindstrom, beide noch relativ junge Wagner-Interpreten, gaben dem mythischen Paar spannendes Profil, und Inkinen präsentierte sein Festspielorchester in Bestform.

Los geht’s mit dem Vorspiel zum dritten „Siegfried“-Akt: Man hört das Schwertmotiv des Helden, und bald lodert die Waberlohe um den Brünnhilde-Felsen, wo Siegfried die verstoßene Walküre wachküssen wird. Damit die Zuhörer der verqueren Sprache Wagners folgen können, gibt’s Übertitel - für Wagnerianer ein Graus, aber trotz der vorbildlich klaren Artikulation O‘Neills hilfreich, um in die Seelengründe des jungfräulichen Helden blicken zu können, der hier seine brünstige Initiation erlebt.

Während Lise Lindstrom die ersten 20 Minuten mit sibyllinischem Lächeln daneben sitzt und Siegfrieds Gefummel an Schild und Helm mithört, singt sich dieser von Verwunderung in Ekstase. O’Neills blitzende tenorale Euphorie wird dann noch übertrumpft von Lindstroms vokalem Edelmetall, wenn sie zum irdischen Leben wiedererwacht - ein von Inkinen mit dem Orchester wunderbar vorbereiteter und gesteigerter Moment.

Das folgende Liebesduett ist in allen psychologischen Facetten musikalisch ausgeleuchtet, in allen emotionalen Tönen nuanciert. Aus kühler Abwehr entsteht samtene Sopran-Wärme, jauchzende Vorahnung orgiastischer, aber auch vernichtender Momente.

Nach der Pause, beim Vorspiel zur „Götterdämmerung“, scheint das Orchester noch nicht ganz konzentriert, erst bei der Cellokantilene und dem von den acht Hörnern intonierten Siegfried-Motiv ist der klangliche Ausdruck wieder voll ausgeprägt. Kaum zu glauben, dass Siegfried nach der ersten Liebesnacht schon wieder fort will. Lindstroms und O’Neills Abschiedsrufe überbieten sich, dann blättert die Sopranistin die „Götterdämmerung“-Partitur schon einmal bis ganz zum Ende. Inkinen dirigiert Siegfrieds Rheinfahrt als spannungsreiche Orchestererzählung, das Alberich-Motiv wird von den Posaunen schaurig intoniert. Siegfrieds Tod, von Wagner grandios als Verlöschen auch des Unterbewussten komponiert, ist noch einmal ein faszinierendes Stück musikalischer Psychoanalyse. Brünnhildes Abschied wiederum zelebriert Lindstrom - nach einem von Inkinen in epischer Breite und mit schärfsten Kontrasten dargebotenen Trauermarsch - mit fanfarengleichen Spitzentönen: ein mitreißender Schlussgesang und ein spektakuläres orchestrales Weltuntergangsepos.