Drei deutsche Mädel (von links: Sabine Bräuning, Gesine Hannemann und Nina Mohr) singen für Flüchtlinge und Asylbewerber. Foto: Patrick Pfeiffer Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Esslingen - Wie das schon heißt - klingt irgendwie dumpfdeutsch, nach bräunlichem Mief unterm Uniform-Rock. Fürwahr: „Wir Mädel singen“ nannte sich ein Liederbuch des Bunds deutscher Mädel (BDM), des weiblichen Pendants zur Hitlerjugend. Die große Theaterkünstlerin und Kabarettistin Ortrud Beginnen hat den Titel gewählt für eine satirische Beweisführung besonderer Art. 1993 brachte sie ihre Revue „Wir Mädel singen“ - Untertitel: „Eine deutsche Angelegenheit“ - in Hamburg zur Uraufführung. Damals brannten in Deutschland die Asylbewerberheim - in Beginnens Stück der Anlass für drei wackere Damen, ein wohlmeinendes Zeichen für deutsche (Willkommens-)Kultur zu setzen. Nur geht der Heimatabend in der Asylunterkunft dann seinerseits in die deutschnationalen Binsen: Mit Liedgut, Brauchtum und Schwärmerei stößt das Trio den Ankömmlingen Bescheid, dass sie gefälligst am deutschen Wesen genesen oder abhauen sollen. Ganz ohne böse Absichten mündet die Show des Trio nazionale in eine bitterböse Selbstentlarvung deutschen Gutmenschentums.

Kurz nach der Uraufführung gastierte Beginnen 1993 mit ihrer Revue am Stuttgarter Staatsschauspiel, wo soeben Friedrich Schirmer seine Intendanz begonnen hatte. Als jetziger Intendant der Esslinger Landesbühne (WLB) setzte Schirmer eine Neuinszenierung von „Wir Mädel singen“ auf den Spielplan - zu Ehren der 1999 gestorbenen Ortrud Beginnen, die kommendes Jahr 80 geworden wäre (im April nächsten Jahres folgt an der WLB noch ihr Alt-68er-Abend „Mein Freund Rudi“); und aus aktuellem Anlass. Schließlich bringt die Flüchtlingsthematik die Frage nach Sinn, Zweck, Motiven und möglichen Untiefen der Willkommenskultur erneut aufs Tapet.

Regisseur James Lyons hat für seine Neuinszenierung - Premiere ist morgen im Podium 1 des Esslinger Schauspielhauses - Beginnens Originaltext auf heutigen Stand gebracht: „Damals vor 24 Jahren ging es um das Vorführen von deutscher Kultur. Heute geht es um Integration“, sagt er. Lyons hat in Handbüchern und Empfehlungen für engagierte Flüchtlingshelfer recherchiert und reichlich Material gefunden, das bestens gemeinte Integration zur Drohung werden lässt. „Die Fettnäpfchen sind nach wie vor dicht aufgestellt, wenn Sendungsbewusstsein mit der Unfähigkeit zur Empathie einhergeht“, weiß der Regisseur. Seine Inszenierung ziele auf „eine groteske Version dessen, was in uns guten Menschen lauert“; auf den „inneren deutschen Schweinehund“, auf die „Charity-Lady, der es nur um sich selbst geht“, aber auch auf die „zerrissene Haltung der Deutschen zu ihrer Heimat“. Man soll sich, so Lyons, „ertappt“ fühlen auf der „Gratwanderung“ zwischen ehrenwertem Engagement und den Abgründen der Selbstgerechtigkeit.

Die Premiere am morgigen Sonntag (20 Uhr im Podium 1 des Esslinger Schauspielhauses) ist ausverkauft, eventuelle Restkarten gibt es an der Abendkasse. Die nächsten Vorstellungen folgen am 6., 15. und 29. Oktober, 11., 22. und 24. November.