Für ihre Tochter (Paula Steimann) tut sie alles: Kristin Göpfert als Frau Emma auf dem Weg zu weiblicher Selbstbestimmung. Foto: Patrick Pfeiffer Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Esslingen - Einer der bittersten Sätze fällt, als die ganz große Verbitterung zur Normalität wird. „Die Soldaten haben eine Lust am Kriege, die eine Frau nicht verstehen kann“, sagt Frau Emma Müller. Das Echo tönt wenig später aus dem Mund des Majors Starke: „Da kann man doch an der Front unter Männern freier atmen.“ Freier als unter Drückebergern wie dem Lüstling und Lebensmittel-Schieber Meinhart. Freier vor allem als unter zeternden Weibern, die gerade wahnsinnig werden wie die eigene Gattin, weil ihr der Krieg nunmehr den zweiten Sohn raubte. „Wo sind meine Söhne?“, schreit sie den Gemahl an. Dann lieber Front, meint der Herr Major auf Sonderurlaub. Was auch heißt: Dann lieber krepieren. Unter Männern. Das Unverständnis zwischen den Geschlechtern muss groß sein, tödlich groß.

Radikal weiblich

Ilse Langners Theaterstück „Frau Emma kämpft im Hinterland“, 1928 geschrieben, offenbart einen zweiten Abgrund im Abgrund des Ersten Weltkriegs. Gewiss schildert der radikal weibliche Blick auf die „Heimatfront“ vom Hungerwinter 1917 bis zur Novemberrevolution 1918, wie der Krieg den Frauen das Fleisch von den Knochen, die Moral, die Männer nimmt. Aber im Zeitbild klafft jener andere Riss, der latent den Frieden zerfurcht und im Krieg offen aufbricht: die tiefe, durch keine Sprachbrücke zu überwindende Kluft zwischen Männern und Frauen; genauer: zwischen ihren sozial und kulturell verordneten Rollen. Sie erzeugen eine doppelte Einsamkeit der Unverstandenen. Die Frauen fühlen sich gottverlassen von ihren wackeren Kriegsmännern, und die Männer ziehen in den Krieg wie an einen mörderischen Stammtisch, um ihren Frauen zu entkommen. Hinter allen patriotischen oder oberflächenpolitischen Sprachregelungen scheint bei Langner ein anderer Kriegsgrund auf: das sprachlose gegenseitige Unbehagen der Geschlechter.

Genau so hat Laura Tetzlaff im Esslinger Schauspielhaus dieses zeitbezogene, aber nicht zeitgebundene Stück inszeniert: als vorweggenommenes Gender-Drama. Weiß der Teufel, warum dieser erstaunliche Text und seine Autorin nach der Verfemung durch die Nazis kaum mehr beachtet wurden.

Tetzlaff zeigt, wie der Firnis der Männer- und Kriegssprache samt seiner fadenscheinigen Moral allmählich rissig und brüchig wird, zugleich aber die Kommunikation der Frauen übertüncht. Keine feminine oder gar feministische Verständigung gibt hier Laut. Vielmehr ruft die Regisseurin in den stockenden, pausendurchsetzten Dialogen Wortfelder der Einsamkeit auf, wo keine der Frauen über den eigenen, kriegsverwüsteten Acker hinausblickt, wo beredter Ausdruck nur dem Schweigen ziemt. Und mit gezielter Statuarik rüstet Tetzlaff die Figuren obendrein zu lebendigen Distanzwaffen auf, die Nähe, Mitteilung und Empathie im Keim vernichten.

Diese Gefangenschaft im Unsagbaren sperrt Bühnenbildnerin Marion Eisele in bläuliche Abstraktionskälte: ein Neon-Rechteck als Bühnenrahmen, ein Halbrund von Neon-Säulen als militärische Phalanx im (Kriegs-)Hintergrund, gegen Ende teilweise erloschen oder nur noch flackernd. Inmitten, wie aufplatzende Erinnerungen, schwindende Relikte guter alter Bürgerbehaglichheit; ein Kanonenofen, der immer seltener und überhaupt nur noch dank Stapeln von Zeitungspapier glimmt, ein Gründerzeit-Sofa, das irgendwann den Weg in den Ofen antreten wird, Teppiche, die ebenfalls den Überlebensbedürfnissen geopfert werden.

Ausbruchsversuche aus dieser Hermetik des Elends führen in den Wahnsinn, den Tod, die Preisgabe des Körpers. So nimmt Gesine Hannemann als Frau Major Starke hochnäsig starre Fregatten-Haltung an, bis sie sich wirren Haars und wirren Sinns in Schrei und Leid verliert. Die Krankenschwester Ingeborg (überirdisch: Bettina Franke) stirbt in ruheloser Pflege der Verwundeten und Sterbenden den Erschöpfungstod, als büße sie für ihren Vaters, einen General. Und die propere Majorstochter Fräulein Lotte (wohldosiert schnippisch: die Schauspielstudentin Lara Haucke) ver- und erkauft als Prostituierte einen schnöden Rest von Lebenslust.

Übergriffig im Kontaktlosen ist nur der Schieber Meinhart (Florian Stamm als Schleimbeutel mit eiskalt aggressiver Berechnung), ein Notstands-Mephisto, der Frauen zu seinen Ware-gegen-Sex-Deals verführt - und doch ist gerade er, der Unmännliche, der Unheroische, ein paradoxer Katalysator weiblicher Emanzipation. Das vom Land stammende Dienstmädchen Paula (robust: Stephanie Biesolt) versucht, ihn sich als Samenspender abzurichten für ein freies Leben mit Kind, aber ohne Mann. Und Emma lässt sich mit ihm ein für die Lebensrettung ihrer vor Hunger todkranken siebenjährigen Tochter (Paula Steimann, alternierend mit Mia Jeiter). Emma tut es prompt, nüchtern, entschieden, ebenso wie sie dann das dabei gezeugte Kind abtreiben lässt. Der Zweck heiligt nicht nur die Mittel, sondern befreit die souveräne weibliche Entscheidung: für das eine, gegen das andere Kind. Fürwahr kein moralisches Lehrstück, sondern provokativer Realismus: Die überragende Kristin Göpfert stellt Emma exakt als Frau dar, deren Kampf an der Frauenfront aus innerer Anspannung und Beklommenheit zur kritischen Erkenntnis ihrer Rollenfixierung führt, namentlich als Mutter.

Frau Emma gewinnt den Krieg

Jetzt lässt sie sich nichts mehr sagen, auch nicht von ihrem zum Revolutionär gewandelten Heimkehrer-Gatten (halb geläutert, halb polternder Macho: Benjamin Janssen). Auf Augenhöhe tritt sie, nunmehr selbst berufstätig, dem Uniformierten gegenüber. Sie hat den Krieg gewonnen - und darauf setzt es ein wahrhaft irritierendes Happy-End: einen Schulterschluss von Frau und Mann. Dass Laura Tetzlaff diese finale Provokation gestrichen hat, ist der einzige Einwand gegen ihre Inszenierung, die in großartiger Konzentration Langners Botschaften an die Zukunft in Anschlag bringt.

Nächste Vorstellungen: morgen, 16. und 21. Februar, 3., 14. und 24. März.