Von Dietholf Zerweck

Stuttgart - Einmal nicht als Herzstück von Hans-Christoph Rademanns Stuttgarter Bach-und-Barock-Pflege kam die mitteldeutsche Silbermann-Truhenorgel beim jüngsten Akademiekonzert in der Liederhalle zum Einsatz: repräsentativ für die liturgische Zweckbestimmung und als harmonischer Hintergrund diente sie in den Chorpassagen der beiden lateinischen Messen von Mozart und Schubert, die von der Gaechinger Cantorey und dem Stuttgarter Kammerorchester dargeboten wurden. Obgleich beide Werke auch in anderer Funktion bei zeitgenössischen repräsentativen Anlässen in Prag aufgeführt worden sind: Mozarts C-Dur-Messe vermutlich bei den Krönungsfeierlichkeiten Leopolds II. zum König von Böhmen, und Schuberts G-Dur-Messe bei der Inthronisation der Erzherzogin Marie Karoline als Äbtissin des adeligen Damenstifts auf dem Hradschin 1846, fälschlicherweise unter dem Namen des ehemaligen Domkapellmeisters Robert Führer, der es daselbst dirigierte.

1815 hat Franz Schubert als 18jähriger seine G-dur-Messe für die Lichtenthaler Kirche in der Wiener Vorstadt komponiert, als „missa brevis“ für den liturgischen Gebrauch. Rademann lässt das „Kyrie“ von den 50 Sängerinnen und Sängern der Gaechinger Cantorey sehr leicht, fast beschwingt intonieren, der Solosopran zeichnet mit dem „Christe eleison“ eine silbrige Leuchtspur. Die junge Sopranistin Regula Mühlemann ist für die kurzen Solopassagen bei Schubert und vor allem für das „Agnus Dei“ in Mozarts C-Dur-Messe eine ideale Interpretin: schlank und doch substantiell im Ton, wunderbar natürlich in der Phrasierung und mit textgestaltendem Ausdruck, bei dem jeder der drei Agnus-Dei-Verse noch an Intensität und Strahlkraft zunimmt. Auch im gut aufeinander abgestimmten Vokalquartett mit Michaela Selinger (Alt), Jussi Myllys (Tenor) und Tareq Nazmi (Bass) krönt ihr Sopran die Einsätze, und in der Konzertarie „Ah, lo previdi“ kann Regula Mühlemann auch ihre dramatischen Qualitäten in der von Mozart komponierten Rolle der Andromeda mit natürlichem Ausdruck einsetzen.

In der Gestaltung der mythologischen Szene kündigt sich schon Mozarts musiktheatralisches Genie an, und Regula Mühlemann kontrastiert die widerstrebenden Gedanken und Gefühle der Protagonistin in den beiden Orchesterbegleiteten Rezitativen und der Arie eindrucksvoll. Ihre hochfahrenden Intervalle antizipieren Fiordiligis große Arie in „Così fan tutte“, ihre von der Oboe begleiteten lyrischen Kantilenen in der abschließenden Cavatine sind großartig modelliert.

Rademanns Begleitung mit dem Stuttgarter Kammerorchester war hier ausgefeilter als bei der Wiedergabe von Schuberts 5. Sinfonie, in der nur die Bläser die heitere Seite dieses Werks beleuchteten. Bei Mozarts „Krönungsmesse“, die mit Oboen, Fagott, Hörnern, Trompeten, Posaunen, Pauken und Orgel den festlichen Charakter des Werks glänzend unterstrichen, ließ Rademann die für Chor durchkomponierten Passagen von Gloria und Credo sehr frisch musizieren, die Gaechinger Cantorey sang homogen und kompakt.