Am Ende sind alle Solisten des Abends versammelt (von links): George Benson, Dee Dee Bridgewaters, Quincy Jones und Jacob Collier. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Harry Schmidt

Stuttgart - Den größten der drei Träger des Namens Jones, die das Festivalprogramm auch ein wenig zu „Jones-Festspielen“ mache, wie Veranstalter Jürgen Schlensog im Vorfeld augenzwinkernd einräumte, hatten sich die Jazz Open fürs finale Open-Air auf dem Schlossplatz aufgespart. Nachdem ein Auftritt von Norah Jones die symbolträchtige Spielstätte im Ehrenhof des Neuen Schlosses Mitte vergangener Woche eröffnet hatte, gefolgt von Tom Jones, der am Vorabend des Finales auf der leicht überdimensioniert wirkenden Festivalbühne zwar nicht mehr unbedingt als Tiger abgesprungen, aber dafür auch trotz seiner 77 immer noch nicht als Bettvorleger gelandet war, sollte der mit rund 5500 Besuchern ausverkaufte Schlossplatz am letzten Abend der Jazz Open Zeuge 2017 des Auftritts einer wahren Legende werden.

Mit Quincy Jones hatte sich ein Künstler angekündigt, auf den diese inflationär missbrauchte Bezeichnung in beispielloser Weise zutrifft. Ray Charles und Lionel Hampton stehen am Beginn seiner sechs Dekaden überspannenden Karriere im Musikgeschäft, seine Arrangements für Count Basie, Duke Ellington, Sarah Vaughan und Gene Krupa wirkten stilbildend. Jones arbeitete mit so unterschiedlichen Künstlern wie Frank Sinatra und Dizzy Gillespie, als Produzent von Michael Jackson wurde er endgültig zum Mastermind der Popmusik.

Zwei Luxusklangkörper auf einmal

Die rund 40 Musikerinnen und Musiker des Stuttgarter Kammerorchesters nehmen mit der 19-köpfigen SWR Big Band und den Backgroundsängerinnen und Sängern nahezu die gesamte Bühne ein. Bereits ihr um „Wanna Be Starting Something“ gruppiertes Medley als Ouvertüre definiert ein Merkmal dieses Abends: Was für ein opulenter Komfort, zwei solche Luxusklangkörper gleichzeitig zur Verfügung zu haben - ein Studiotraum wird Wirklichkeit. Eine Woche lang habe er das Glück gehabt, in Stuttgart mit den Musikern arbeiten zu dürfen, sagt Dirigent Jules Buckley. Enorm funky, ungeheuer tight, bringt er den Drive dieser Soul- und Disco-Blaupausen auf den Punkt. Von minutenlangen stehenden Ovationen empfangen betritt Quincy Jones schließlich die Bühne.

Allerdings nur, um sich für den Applaus auf Deutsch zu bedanken, kurz erst (irrtümlich) Dee Dee Bridgewater und dann (korrekt) seinen jüngsten Schützling vorzustellen, bevor er wieder abgeht. Verglichen mit Finalshows der Jazzopen in den Vorjahren - wir erinnern uns an energiegeladene Auftritte von Jamie Cullum, die Präsenz in Person -, erlebte man am Sonntagabend das gerade Gegenteil: Der 84-Jährige, der im Zentrum des Programms stand, war an diesem Abend vorwiegend nicht zu sehen.

Ganze 22 Lenze zählt Youtube-Star Jacob Collier, der zwar mit einem Teddybär-Schal sein Wunderkindimage ironisiert, während er mit erstaunlicher Leichtigkeit Skalen, Läufe und Cluster auf dem Steinway ineinanderfließen lässt, es aber an Durchschlagskraft vermissen lässt. Die untergehende Sonne scheint ihm bei „Hajanga“ ins Gesicht, mit kristallinem Geklimper verklingt das harmlose Liedchen. Die Vögel zwitschern, die Spidercam surrt über die Köpfe - der Auftritt wurde vom SWR mitgeschnitten, die Sendezeiten standen bei Redaktionsschluss noch nicht fest - , hinter einem auf der Tribüne geht die Zielgruppe der Business-Tickets lautstark ihren Geschäften nach.

Zwiespältiger Eindruck

Mit acht Titeln aus dem Great American Songbook, die in Arrangements von Quincy Jones Welthits für Sängerinnen wie Sarah Vaughan, Ella Fitzgerald oder Dinah Washington waren, unterstrich Dee Dee Bridgewater eindrucksvoll ihre Qualitäten als Vokalistin. Reif und beweglich, voluminöser und ausdrucksvoller denn je wirkte die Stimme der 67-Jährigen in Klassikern wie „I Coud Write A Book“, „Misty“ oder „Honeysuckle Rose“. Das gilt auch für ihren Scat. Dasselbe lässt sich von Sänger George Benson nicht behaupten: Während sein Ton auf der Jazzgitarre nach wie vor brillant ist, kam den Background-Vocals hier die Rolle einer sehr hilfreichen Unterstützung zu. Dass nicht mal „Give Me The Night“, Bensons größter Hit, am perfekten Ort zur perfekten Zeit bei perfekten Temperaturen nahezu perfekt live reproduziert, die Besucher mobilisieren konnte, hatte etwas Symptomatisches.

Erst als Jones ein letztes Mal auf die Bühne kam, um alle Solisten des Abends zu versammeln und mit „Let The Good Times Roll“ den ersten Song zu dirigieren, den er für Ray Charles arrangiert hat, riss man sich aus dem Gestühl hoch. Zuvor pflegte man mit Jones die Tugenden des Producers, dessen Platz ja nicht vor der Scheibe, sondern der Sessel dahinter ist: Sitzfleisch statt Standvermögen.

Insofern begann die öffentliche Inszenierung bereits tags zuvor: Fast zwei Stunden lang verfolgten Jones und seine Entourage die Konzerte von Joey DeFrancesco und Pete Muller im Bix. Der hochkarätig besetzte, äußerst gediegene, je nach Warte auch als sedierend bis dekadent empfundene Auftritt auf dem Schlossplatz hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: Zweifellos wohnte man großen Momenten bei. Dennoch sprang der Funke nicht gerade besonders oft über.