Bemitleidenswerter Unsympath: Volker Risch als Harpagon im Alten Schauspielhaus. Foto: Sabine Haymann Quelle: Unbekannt

Von Thomas Krazeisen

Stuttgart - Da sitzt er nun mutterseelenallein herum, ein reiches armes Würstchen mit seinem abgöttisch geliebten Schatz. „Mein Gott“, entfährt es dem Alten. Ein Happy End - aber eines mit Schrecken. Sein Blick verrät es: Der Seufzer des Geizhalses ist nicht nur Ausdruck der Erleichterung darüber, dass er seine innig geliebte Geldschatulle wieder hat. Er ist auch Ausdruck des Erschreckens darüber, dass er einen denkbar hohen Preis bezahlt für seine Habgier. Jeder Deckel hat am Ende seinen Topf in Molières „Der Geizige“ gefunden - außer dem Titelprotagonisten, um den es einsam geworden ist und dem es dämmert hinter seinen dicken Brillengläsern: Wahrer Reichtum liegt in einem beziehungsreichen Leben. Es ist die noch immer aktuelle Moral einer 350 Jahre alten Geschichte, die jetzt an den Stuttgarter Schauspielbühnen Premiere hatte. Die Inszenierung stammt von Ulf Dietrich. Sprachlich und ästhetisch wird durchaus nicht gegeizt. Der Regisseur bietet für seine knitterfreie Charakterstudie Molières geballte Wort- und Witzgewalt sowie eine opulent kostümierte Personage auf, bei der er freilich gegenüber der originalen Besetzungsliste - Harpagon lässt grüßen - auf Einspareffekte setzt.

Über alles geliebte Geldkassette

In seinem obsessiven Kapitalverehrer zeichnete der französische Dichter und Theatermann Molière das Ab- und zugleich Zerrbild eines heillos zwischen Geiz und Gier Gefangenen. Er ist weniger der Prototypus moderner Geiz-ist-geil-Mentalität - dieser Slogan ist ja durchaus konsumistisch adressiert. Wohingegen Molières Unsympath eine geradezu phobische Abneigung gegen jede Art von Geldausgeben hat und das auch seine beiden Kinder spüren lässt, denen die Aussicht auf ein stattliches Erbe wenig nützt - sie könnten den Zaster des zählebigen Alten viel besser jetzt gebrauchen.

Beate Zoff hat für die Treppauf-Treppab- und Tür-auf-Tür-zu-Komödie das Interieur von Harpagons Heim sparsam, um nicht zu sagen spartanisch eingerichtet: Vom Foyer führt eine renovierungsbedürftige Holzstiege nach oben und ein paar Ausgänge nach draußen. Die blauen Tapeten mit royalen Ornament-Projektionen und ein goldschimmernder Kronleuchter, der zeitweilig als Versteck für Harpagons Geldkassette dient, täuschen jene bürgerliche Großzügigkeit vor, die dem Herrn des Hauses vollkommen abgeht. Er ist ein manischer Knauserer, der nicht nur jeden Franc zweimal umdreht, sondern auch jeden Nagel, ehe er ihn bei der Reparatur des wippenden Dielenbodens einsetzt. Klar, dass das einzige Möbelstück weit und breit, eine braune Ledercouch, geschont wird - die Verpackungsfolie dient als wenig dekorative Tagesdecke. Der Küchenmeister muss sich von seinem chronisch misstrauischen Chef nicht nur bizarre Leibesvisitationen gefallen lassen, er wird auch angehalten, sich in der Kunst zu üben, „köstlich ohne Kosten zu kochen“ - notfalls mit Dingen, die niemand von den Gästen des Hauses mag, damit man sie bei nächster Gelegenheit selbst verzehren kann. Dem schwäbischen Typus des „Klufamichels“ ist dieser Charakter einer ins Absurde gesteigerten Sparsamkeit durchaus wesensverwandt - nicht zufällig hat Thaddäus Troll den Molière’schen Geizling in seinem „Entaklemmer“ als Vorbild.

Mit Volker Risch ist die Rolle des Titelprotagonisten im Alten Schauspielhaus ideal besetzt. Er stampft, stakst und tänzelt in schönster Louis-de-Funès-Manier durchs hochnotkomische Labyrinth der hausgemachten Irrungen, Wirrungen und Missverständnisse und bringt alle Facetten dieser schillernden Figur zum Leuchten: die Hartleibigkeit des Familiendespoten, der für seine beiden Kinder unzumutbare Ehepartien aus rein ökonomischem Kalkül eingefädelt hat; den pathologischen Argwohn des autoritären Giftzwergs, der in jeder Person seiner Umgebung einen potenziellen Dieb sieht, der es auf sein Allerheiligstes abgesehen hat; aber auch die Verzweiflungskomik des aufgebrezelten Silveragers, den der Johannistrieb ausgerechnet in die Arme der hübschen Mariane (schön selbstbewusst: Katharina Paul) getrieben hat. Die will auch sein Sprössling heiraten, der sich dafür riskant zu verschulden bereit ist - unwissentlich beim väterlichen Kreditgeber. Lukas Benjamin Engels Cléante kämpft mit barocker Stromfrisurperücke und offenem Gefühlsvisier für seine große Liebe, seine nicht minder den schönen Dingen des Lebens aufgeschlossene Schwester Elise (Kim Zarah Langner) versucht, ihre Beziehungspläne mithilfe ihres Herzblattes zu verwirklichen: Marius Hubels Valère betreibt sein Geizversteherspiel mit manipulativer Tartüfferie. Heike Schmidt als taffe Heiratsvermittlerin Frosine und Michael Hiller, der seine Doppelrolle als gewiefter Hausdiener Jacques wie als generöser Vater beziehungsweise Schwiegervater in spe Anselme prächtig ausfüllt, komplettieren das Personal dieses Operettenballs gebauschter und gerüschter Eitel- und Begehrlichkeiten.

Vorstellungen täglich außer sonntags bis 10. Juni.