G. I. Widmann: „Dämmerung“, 1956 (Ausschnitt). Foto: Frank Kleinbach - Frank Kleinbach

Das Spendhaus in Reutlingen zeigt Werke der Malerin G. I. Widmann, einer der vergessenen Töchter der Stadt, die 1952 eine Einladung zur Kunstbiennale von Venedig ausschlug.

ReutlingenDie Heimat war ihr unheimlich. „Das böse Dorf“ heißt ein Gemälde von G. I. Widmann aus dem Jahr 1955. Darauf zu sehen ist ein verlassenes Kleinkind im Gitterbett. Der biografische Bezug sei unverkennbar, sagt Maren Keß-Hälbig vom Reutlinger Spendhaus-Museum. „Widmann hatte es schwer. Als alleinerziehende Mutter in der schwäbischen Provinz musste sie wahrscheinlich zahlreiche gesellschaftliche Anfeindungen erdulden.“ Zu der sozialen Isolation kam die Außenseiterrolle als Frau im Kunstbetrieb. Wohl auch deswegen schrieb Widmann ihre Vornamen Gudrun Irene nicht gerne aus, verwendete stattdessen die geschlechtsneutrale Abkürzung.

In der Ausstellungsszene konnte die Malerin (1919-2010) dennoch niemals Fuß fassen, sodass sie in Vergessenheit geriet. Zum 100. Geburtstag bringt ihre Geburtsstadt sie nun mit einer umfangreichen Retrospektive in Erinnerung. Auf drei Ebenen präsentiert das Reutlinger Spendhaus rund neunzig Grafiken und Gemälde. Düstere Wälder, surreal verrätselte Stillleben und immer wieder Porträts aus dem Umfeld der Künstlerin.

Als Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns konnte sie sich Ausbildungen an den Akademien in Düsseldorf, Stuttgart und Wien leisten, wo sie es bis zur Meisterschülerin brachte. Dass der Erfolg am Ende ausblieb, will Co-Kuratorin Keß-Hälbig jedoch nicht allein mit der Männerdominanz auf dem Kunstmarkt begründen: „Sie litt immer wieder unter Selbstzweifeln. Damit stand sie sich auch selbst im Weg.“ Widmanns Unsicherheit ging so weit, dass sie 1952 eine Einladung zur Kunstbiennale von Venedig ausschlug.

Aber haben wir es hier wirklich mit einer Wiederentdeckung vom Rang einer Lotte Laserstein oder einer Hilma af Klint zu tun? Die Auswahl zeigt vor allem jemanden, der viele stilistische Einflüsse aufgenommen hat. Hier Pablo Picasso und Henri Matisse, dort HAP Grieshaber. Am nachhaltigsten hat jedoch Paula Modersohn-Becker Eindrücke hinterlassen. Das verraten die großen traurigen Augen von Widmanns Kinderbildnissen sowie ihre Auseinandersetzung mit dem Thema Mutterschaft. Keß-Hälbig betont aber: „Nach einer Phase der Orientierung hat Widmann sich stets von den Vorbildern emanzipiert und zu einer eigenen Bildsprache gefunden.“ Auf einem Bild wie „Umarmung“ etwa nimmt sie die feministischen Verfremdungen einer Maria Lassnig vorweg: Schon bei Widmann erscheint der weibliche Körper als metaphorisches Schlachtfeld. Beine, Füße und Arme haben sich abgelöst wie die Glieder eines kaputten Hampelmanns. Vielleicht ist die Ausstellung ja doch der Anfang einer Renaissance.

Bis 6. Oktober täglich – außer Mo – 11 bis 17 Uhr, Do bis 19, So bis 18 Uhr.