Bravouröses Klangpanorama: Pietari Inkinen dirigiert Sibelius mit dem Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele. Foto: Benjamin Stollenberg Quelle: Unbekannt

Von Dietholf Zerweck

Ludwigsburg - Die Töne, die der ivorische Musiker Aly Keïta auf seinem Balofon anschlägt, klingen fröhlich, beharrlich, schwenken bald in einen improvisatorischen Folklore-Rhythmus ein, bald sprühen sie in Schlagstockwirbeln mit tänzerischer Lebendigkeit oder evozieren schwebende Ostinatogesänge. Alles scheint auf Harmonie gestimmt beim Prolog des in farbenfrohes Gelb gekleideten Afrikaners, doch repräsentiert er auch die Schwierigkeiten und Konflikte eines Kontinents, für den Europa bei vielen jungen Menschen ein Sehnsuchtsort der Freiheit ist.

Nur indirekt geht der Historiker und Philosoph Philipp Blom in seiner Eröffnungsrede entsprechend dem Festspielmotto „Farben der Freiheit“ auf die Verantwortung freiheitlicher Gesellschaften in dieser Lage ein. Doch er findet einige prägnante, anschauliche Bilder der Art, wie sie seine detailreichen Bücher („Der taumelnde Kontinent“, „Die Welt aus den Angeln“) auszeichnen. In westlichen Demokratien sieht er die „Freiheit von“ Zwängen und Unterdrückung weitgehend verwirklicht, freilich als „Freiheit zu“ ungehemmtem Konsum und Besitz, verbunden mit der Ausbeutung anderer. Diese „weiße Freiheit“ sei die Kehrseite einer Gesellschaft, welche die in der französischen Revolution verkündeten Ideale der „liberté, égalité, fraternité“ als „Freiheitspraxis in kleinen Schritten“ zu verwirklichen strebt.

Chiffre eines individuellen Kampfes

Dmitri Schostakowitschs erstes Cellokonzert danach hat ganz andere „Farben der Freiheit“. Grell, aufgeregt, motorisch bewegt kommen die Orchestereinwürfe, nachdem Renaud Capuçon in der Solostimme das Viertonmotiv - die gleichsam auf den Kopf gestellte D-Es-C-H-Signatur, die Schostakowitsch als Selbstzitat in seinen Werken immer wieder verwendet - aus den Tiefen seines Instruments holt. Die Welt auf den Kopf gestellt: Sechs Jahre nach Stalins Tod, in einer kulturellen Tauwetterperiode des Sowjetsystems, schrieb der Komponist sein Es-Dur-Konzert für den Cellisten Mstislaw Rostropowitsch, und jenes Motiv wirkt wie eine Chiffre seines individuellen Kampfes gegen ein autoritäres System. Der erste Satz spiegelt Wechselbäder der Emotionen, Capuçon schärft die Kontraste zwischen leichtem Piano und forcierten Ausbrüchen, ein einsames Horn scheint ihm beizustehen. Das Orchester und Dirigent Pietari Inkinen könnten hier wie auch im Schlusssatz noch prägnanter, expressiver sein. Schostakowitsch hat das Stück nicht ohne Ironie einen „scherzhaft heiteren Marsch“ genannt.

Ungeheuer differenziert dann der langsame zweite Satz, das Cello erhebt seine Stimme melancholisch, wie traumverloren über den harschen Bratschenfiguren und Pizzicati der Celli und Bässe. Erst klagend in vibratoloser Sprödigkeit, dann expressiv sich entfaltend und in den Höhen lyrisch aufblühend spielt Capuçon seinen Solopart, zitiert dann zu scharfen Fagott-Intervallen ein Volkslied-Motiv wie zur Erinnerung an eine glücklichere Zeit, verliert sich am Schluss im Dialog mit den Tönen der Celesta in zartesten Flageoletts. Die folgende, weitgespannte Kadenz ist wie ein Monolog des Soloinstruments voller innerer Spannungen, die Capuçon in dunkelste Tiefen lotet und bis zu virtuoser Raserei steigert. Schwerblütig und zugleich motorisch nach vorne drängend, energiegeladen schließlich das unmittelbar anschließende Finale: dieser Schostakowitsch hatte starke Wirkung und wurde vom Publikum enthusiastisch applaudiert.

Jean Sibelius’ vier sinfonische Legenden seiner „Lemminkäinen“-Suite sind dann in Pietari Inkinens inspirierender, mit großem körperlichem Einsatz anfeuernder Leitung ein bravouröses Orchesterpanorama. Eine grandiose Wiedergabe.

Pietari Inkinen und das Festspielorchester sind in dieser Saison in Ludwigsburg noch drei Mal zu hören: mit „American Dreams“ (29. Juni), „Weißen Nächten“ beim Monrepos Klassik Open Air (15. Juli) und einer Wagner-Gala mit Auszügen aus „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ im Abschlusskonzert am 22. Juli.

Karten - auch für die übrigen Festspielveranstaltungen - gibt es unter Tel. 07141/939 636.

www.schlossfestspiele.de