Von Rainer Kellmayer

Stuttgart - Wie geht ein Verfechter der historischen Aufführungspraxis an sinfonische Werke von Ludwig van Beethoven und Robert Schumann heran? Gespannt harrte das Publikum im Stuttgarter Beethovensaal des Auftritts von Philippe Herreweghe mit dem SWR Symphonieorchester. Der kürzlich 70 gewordene belgische Dirigent spürt dem Originalklang nach, sieht sich jedoch nach eigenem Bekunden keineswegs als „Ayatolla in Sachen historischer Interpretation“, sondern als Künstler, für den die Sprache der Musik an erster Stelle steht und ihre Phrasierung bestimmt. Zusammen mit dem SWR Symphonieorchester hatte er sich Schumanns zweite Sinfonie vorgenommen. Herreweghe ließ der Musik ihren Fluss, lebte die Dynamik voll aus und setzte auf klare Kontraste. Bedrohlich kreiste zu Beginn die choralartige Melodie der tiefen Streicher, kontrastiert von einem charakteristischen Quintsprung-Motiv der Blechbläser, welches das Orchester vorwärtstrieb ins unmittelbar folgende spritzige Allegro. Dem rastlos dahineilenden Scherzo folgten die weitgespannten Bögen des Adagios, garniert mit herrlichen Bläsersoli. Der effektvolle Schlusssatz strahlte Optimismus aus - brillant gespielt und in der Balance der Orchestergruppen bestens austariert.

Mit seinem recht unkonventionellen Dirigierstil machte es Herreweghe den Radiosymphonikern nicht gerade leicht, er forderte höchste Konzentration und führte das Orchester zu einer Wiedergabe mit Ecken und Kanten. Und einer Binnenspannung, die von der ersten bis zur letzten Note anhielt. Man gewann den Eindruck, dass die Musiker nach den Irritationen um die Fusion der beiden SWR-Orchester auf gutem Weg sind, eine unverwechselbare klangliche Identität zu finden.

Seinen musikalischen Standpunkt hat der Geiger Thomas Zehetmair längst gefestigt: Beethovens Violinkonzert drückte er einen eigenen Stempel auf. Schon der verhaltene Soloeinstieg nach dem Orchestervorspiel zeigte: Hier ist kein virtuoser Blender am Werk, sondern ein Musiker der eher leisen Töne. Mit edler Tongebung spann er die Melodiefäden, erreichte im Pianissimo immer wieder die Grenze der Hörbarkeit, wobei eine etwas dezentere Orchesterbegleitung angemessen gewesen wäre. In den unkonventionellen Kadenzen ging Zehetmair mehr aus sich heraus, bestimmte den Pauker als Dialogpartner und spielte seine technischen Fähigkeiten voll aus. Wenn sich die Intonation auch nicht immer auf der Idealspur bewegte, machte der Solist dies durch wunderbar spannungsvolle Momente, insbesondere im herrlichen Larghetto, wieder wett. Herreweghe setzte dem feingeistigen Spiel Zehetmairs recht burschikose Orchesterzwischenspiele entgegen, sorgte damit für klare Kontraste zu den filigranen Violinlinien.

Eingangs war die Ouvertüre zum dramatischen Gedicht „Manfred“ erklungen, über die Clara Schumann einst schrieb, sie sei „eines der poetischsten und ergreifendsten Stücke“ ihres Mannes Robert. Herreweghe arbeitete die Akzente schroff heraus, brachte die Musik zum Atmen und Vibrieren. Dabei stand weniger der Schönklang als der Mut zur klaren Kontur im Vordergrund - und gerade dies sorgte für eine spannungsgeladene Umsetzung der Partitur.