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Marcus Grube inszeniert an der Esslinger Landesbühne seine Theaterfassung von Helmut Dietls Kultfilm „Schtonk!“

EsslingenEin ziemlich knitzer Mann war Konrad Kujau, dieser vielseitige Kunstfälscher, der 1983 die „Stern“-Chefredaktion foppte, indem er ihr angebliche Hitler-Tagebücher zuspielte – selbst erdichtet und verfertigt. Ein Arbeitstier, gerissen, geschäftstüchtig, intelligent, die „Hitler sells“-Mentalität der Republik ausnutzend nach dem Motto: „Die Welt will belogen sein.“ Bevor der Coup aufflog, machte er Millionen damit.

Kujau ist jetzt an der Esslinger Landesbühne zu sehen – in Gestalt einer raffinierten Kopie: Fritz Knobel, Hauptperson in Helmuts Dietls und Ulrich Limmers Medienposse „Schtonk!“ von 1992, jener großartigen rabenschwarzen Persiflage auf den Hitler-Tagebücher-Skandal, die den braunen Sumpf, der unter der Oberfläche der Bonner Republik brodelte, virtuos freilegte und nicht zuletzt wegen ihrer grandios agierenden prominenten Besetzung zur Kult-Satire avancierte.

Die sprachlich pointierte, doppelbödige, vor allem subtile Situationskomik, die der Film entfaltet, macht „Schtonk!“ für die Theaterbühne durchaus attraktiv. Und thematisch lassen sich angesichts gegenwärtiger Fake-News-Debatten und Realitätsfälscher wie Donald Trump natürlich Parallelen zur Gegenwart ziehen.

Fliegende Szenenwechsel

Für die Uraufführung der Theaterfassung von WLB-Chefdramaturg und Regisseur des Abends, Marcus Grube, hat Ausstatter Frank Chamier eine Bühne gebaut, die die Ortswechsel des Films gekonnt auffängt. Rechts das schmuddelige Fälscher-Atelier mit Hitlerbüste und Gemäldekopien an der Wand. Eine obere Ebene ist über Treppen zugänglich, dort spielen sich die Redaktionsgespräche des Hamburger Magazins ab. Vorne links deutet ein Tischchen mit Stühlen und Lichterkette Gaststätten-Flair an. So gelingt es, die gut 40 Szenen in fliegendem Wechsel schnell und fließend ineinander übergehen zu lassen – meist zu Marschrhythmen und Richard-Wagner-Pathos, mal in hüpfender Stechschritt-Formation, mal Tangoschritte andeutend. Schon bald ist klar: Die Adaption hält sich sehr genau an den Film. Nicht nur textlich, sondern bis in die Rollenauslegung und sogar die Musik hinein – der Rückgriff auf Konstantin Weckers Soundtrack wird im Programmheft leider nicht erwähnt.

Martin Theuer als Fritz Knobel macht seine Sache gut, gibt den gebürtigen Sachsen wie im Film nicht als bösartigen Betrüger, sondern als sympathischen, sehr fleißigen Eulenspiegel, der immer unter Hochdruck steht, freundlich-impertinent und überlegen auf seine „Opfer“ einredet und bei der Fälschungsarbeit immer dreister und schlampiger vorgeht. Es merkt ja sowieso niemand: Das „wunderbar beschissene DDR-Papier“ wird im Toaster „aufgearbeitet“, eine Gardinenkordel als Verschluss mit Siegelwachs auf die Pappe geklebt. Freilich fehlt der Figur die satirische Erdung, weil die im Original vom Fälscher alias Uwe Ochsenknecht aus dem Off gesprochenen Kommentare fehlen. So erfährt man nichts über die Motivation und Vergangenheit Knobels, der schon als kleiner Junge auf dem Berliner Schwarzmarkt gute Umsätze mit erfundenen Hitler-Devotionalien machte und lernte, dass man einfacher Geld verdienen kann als mit „bürgerlicher Arbeit“. Auch sein recht analytischer Blick aufs Nachkriegsdeutschland fällt unter den Tisch. Unklar bleibt zudem, wer die beiden schönen Frauen (Sofie Alice Miller, Nina Mohr) an der Seite des schlampigen, dicklichen Mannes sind. Auf der Bühne wirkt’s, als sei Knobel schwerreich und halte die beiden aus. Im Original ackert Gattin Biggi bis zum Geldsegen für das gemeinsame Reinigungsunternehmen – schließlich herrscht Geldnot.

Oliver Moumouris spielt den Skandalreporter Hermann Willié, der auf Knobel hereinfällt, kantig, etwas grobschlächtig. Mit seinem Outfit, vor allem der Betonfrisur und dem Riesennasenfahrrad ist er deutlich am Filmvorbild Götz George ausgerichtet. Nur fehlt ihm dessen subtile Komik. Glaubwürdig wird er am Ende, als alles aufgeflogen ist und er geistig ziemlich weggetreten durchs Publikum klettert und in allen möglichen Sprachen nach dem Mann mit dem kleinen Schnurrbart fragt.

Auch andere Figuren leiden unter dem Korsett der Vorlage: etwa Verlagsleiter Wieland, den Marcus Michalski als allerdings treffliche Ulrich-Mühe-Kopie gibt. Am meisten frei spielt sich Sabine Bräuning als Willié-Geliebte und Göring-Nachfahrin Freya von Hepp (im Film Christiane Hörbiger), deren nationalsozialistische Überzeugung sie nicht daran hindert, auf andere Alt-Nazis mit Verachtung herabzublicken.

Klar, dass es dank trefflicher Dialoge immer wieder etwas zu lachen gibt. Aber die Entscheidung Grubes, möglichst nahe am Original zu bleiben, erweist sich als wenig produktiv. Der Humor des 25 Jahre alten Films – so glänzend er Anfang der Neunzigerjahre als Zeitdokument funktioniert – wirkt auf der Bühne der Gegenwart reichlich angestaubt. Die Zeit ist weitergegangen. Die Dreistigkeit und Selbstgewissheit, mit der dort gesellschaftlich hochrangiger Geistespöbel sein Nazitum hinter verschlossenen Türen fröhlich feierte, macht gelegentlich schmunzeln. Aber solcher Ungeist ist längst öffentlich geworden, wird in Internet-Foren selbst unter Klarnamen geäußert, wird auf der Straße propagiert, ist gar im Bundestag gelandet. Das müsste sich in einer zeitgemäßen „Schtonk!“-Inszenierung eigentlich widerspiegeln.

Die nächsten Vorstellungen: 17. und 20. Februar, 9. und 16. März.