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Im Zusammenhang mit der „Ekstase“-Ausstellung im Stuttgarter Kunstmuseum lässt das Literaturhaus entsprechende Texte aus zweieinhalbtausend Jahren Literaturgeschichte Revue passieren. In einem Podiumsgespräch versuchten der Dramaturg Carl Hegemann und der Autor Navid Kermani, dem Ekstase-Begriff definierend auf die Spur zu kommen.

StuttgartDer Titel einer aktuellen Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart, die dort noch bis zum 24. Februar zu sehen ist, lautet „Ekstase“. Das Stuttgarter Literaturhaus hat sich davon anregen lassen, einen Winterabend lang den ekstatischen Erfahrungen in der Literatur und mit Hilfe der Literatur nachzuspüren.

Der von Manfred Heinfeldner kuratierte Trip begann vor einem Grabstein auf dem Hoppenlau-Friedhof, wo der Schauspieler Robert Stadlober kurze Texte aus zweieinhalbtausend Jahren Literaturgeschichte rezitierte. Texte, die zeigen, dass die ekstatische Erfahrung seit den frühesten Zeiten der Menschheit ihren bevorzugten Ort in den Religionen hatte: in der Lyrik der altgriechischen Dichterin Sappho soll die Liebesgöttin Aphrodite den ekstatischen Ausnahmezustand herbeiführen, in den Texten der christlichen Mystikerinnen wie Hildegard von Bingen wird die ekstatische Vereinigung mit Christus als dem himmlischen Bräutigam beschrieben.

Stadlober betrat dann auch drinnen im Saal des Literaturhauses noch zweimal die Bühne, mit ekstatischen Texten vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Waren bei Sappho die den Ekstase-Trip herbeiführenden Stimulanzien Weihrauch, Nektar, Wein und Anisdüfte gewesen, so griffen die Bohèmiens der englischen Romantik und des französischen Symbolismus wie Arthur Rimbaud zum Opium oder zum Absinth, um durch die „planmäßige Ausschweifung aller Sinne“ anzukommen im „Unbekannten“ (Rimbaud). Aldous Huxley glaubte, unter dem Einfluss von Meskalin zu sehen, „was Adam am Morgen seiner Erschaffung gesehen hatte“, und T. C. Boyle beschreibt in seinem neuen Roman „Das Licht“, wie das von dem Basler Chemiker Albert Hofmann entdeckte LSD in den 1960er-Jahren die Gegenkultur inspiriert hat.

Deutlich anstrengender als Stadlobers Textrezitationen gestaltete sich die Podiumsdiskussion zwischen dem Theaterdramaturgen Carl Hegemann und dem Schriftsteller und Orientalisten Navid Kermani, in der es um eine theoretische Beschreibung der ekstatischen Erfahrung ging. Benötigt man gewisse Ekstasetechniken, um den Zustand des Außersichseins zu erreichen, wie Kermani aus seiner Erfahrung als Religionswissenschaftler behauptete? Oder schließt Ekstase so etwas wie Technik gerade aus? Kermani wie Hegemann mussten immer wieder zu paradoxen Formeln greifen, um den ekstatischen Zustand in Worte zu fassen. Es gehe darum, „zu sehen und zu hören, wie einem Hören und Sehen vergehen“, um den „Kontakt zum Vorsubjektiven“ (Hegemann), um das Sich-Wiederfinden im Ich-Verlust (Kermani), um eine heilige Nüchternheit wie bei Hölderlin.

Am Beispiel einiger Passagen aus seinem Roman „Dein Name“ versuchte Kermani zu zeigen, wie die Grenzerfahrungen von Geburt und Tod als „U-Boote in die Metaphysik“ dienen können. Die absolute Ekstase wäre demnach der Tod oder die Rückkehr in den Zustand vor der Geburt. Der Friedhof als Ausgangspunkt des Abends war also gar nicht so schlecht gewählt.

Von einem „prämortalen Delirium“ war auch in einem Text von Kat Kaufmann die Rede. Sie und der Schriftsteller Luke Wilkins sollten ihre Wahrnehmungen in der von La Monte Young und Marian Zazeela gestalteten Raum- und Klanginstallation „Dreamhouse“ im Kunstmuseum beschreiben. Wilkins hat dieses „Dreamhouse“ als einen Raum erfahren, in dem man ohne Begriffe auskommt, Kaufmann als einen, in dem man keine Urteile fällen muss.

Ekstase wäre also ein Zustand, in dem das „stahlharte Gehäuse“ der Rationalität, das laut Max Weber die Moderne panzert, gesprengt würde. Diese politische Dimension des Ekstase-Begriffs kam hier zu kurz, klang höchstens in Manfred Heinfeldners Bekenntnis an, für ihn sei 1968 das erste ekstatische Erlebnis gewesen. Der Absinth, der an der Bar im Foyer des Literaturhauses an die Besucher ausgeschenkt wurde, war dafür nur ein matter Ersatz.