Die Langsamkeit finden: Oliver Storz (links) und Hannes Schwertfeger. Foto: oh - oh

Mit den Auswirkungen des Klimawandels beschäftigt sich das Bureau Baubotanik aus Stuttgart. Die Architekten Oliver Storz und Hannes Schwertfeger sind bei der Ausstellung „Visionäre Räume“ des Kunstvereins Neuhausen dabei. Am Samstag, 28. September, ist die Vernissage.

NeuhausenEine Obstplantage gab es einst beim Studienheim der Jesuiten auf den Fildern. Von 1952 bis 1968 lehrten und studierten Professoren, Patres und Laienbrüder auf dem Areal, auf dem heute unter anderem die Gebäude des Technischen Hilfswerks (THW) und die Schiller-Schule sind. In der ehemaligen Kapelle der Jesuiten, die inzwischen entweiht wurde, hat der Kunstverein Neuhausen (KVN) seine Räume. Die Architekten und Künstler Oliver Storz und Hannes Schwertfeger vom Bureau Baubotanik in Stuttgart haben für das Ausstellungsprojekt „Visionäre Räume – Spaces Of Difference“ einen baubotanischen Lehrpfad realisiert. Die Vernissage ist am Samstag, 28. September, um 19 Uhr beim KVN.

Wer das ungewöhnliche Baumpfad-Projekt entdecken möchte, bekommt beim Kunstverein eine Karte, auf der Bäume eingezeichnet sind. Deren Entwicklung will das Architekten-Duo in den nächsten zehn Jahren erforschen. „Uns geht es auch darum, zu zeigen, wie sich der Klimawandel auf die Bäume auswirkt“, umreißt Storz die umweltpolitische Dimension des Projekts. Den Architekten schwebt vor, Baukunst mit lebenden Pflanzen und mit Bäumen zu verbinden. „Dazu untersuchen wir, wie sie wachsen und was sie brauchen“, sagt Schwertfeger.

In Neuhausen experimentieren die beiden Grenzgänger zwischen Architektur und Kunst mit zwei Apfelbäumen der alten Sorte Kardinal Bea, die in Neuhausen von Bruder Jehle gezüchtet wurde, einem Gärtner der Jesuiten. „Wir lassen die Stämme ineinander wachsen, untersuchen dann, wie die Bäume sich gemeinsam über die Wurzeln versorgen“, erläutert Storz das Konzept.

Exerzitien auf den Fildern

Um mehr über den ehemaligen Kurienkardinal Augustin Bea zu erfahren, der in Neuhausen auf den Fildern lange Studienaufenthalte verbrachte, haben die beiden jungen Architekten Hilfe von Karl Bayer bekommen. Der Heimatforscher skizziert die Laufbahn Beas: Der Geistliche war Professor, 1924 übernahm er den Lehrstuhl für biblische Theologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana. Seine wissenschaftliche Laufbahn führte ihn auch nach Tokio. Seit 1959 war er Kardinal. Bei den Jesuiten in Neuhausen erholte er sich von seiner Tätigkeit im Vatikan. „Immer wieder kam er für Exerzitien auf die Fildern“, erzählt Bayer.

Der Vorsitzende der Gemeinschaft für Heimatgeschichte berichtet, wie das Areal rund um den heutigen Novizenweg früher aussah: „Im Hauptgebäude befanden sich die Studier- und Schlafräume sowie die Wohnungen der Professoren, Patres und Laienbrüder. Auch eine Metzgerei, Schneiderei und Buchbinderei waren vorhanden. Im Ökonomiegebäude waren die Ställe für Kühe, Schweine und Hühner. Eine Gärtnerei gab es ebenfalls.“

Da wuchs unter anderem die Apfelsorte Kardinal Bea, die auch heute noch auf etlichen Obstbaumwiesen zu finden ist. „Wir haben in einer Baumschule noch zwei junge Apfelbäume dieser Sorte gefunden“, sagt Storz. Uta Kahnt von der Gemeinde Neuhausen hat das Bureau Baubotanik bei der Konzeption des baubotanischen Lehrpfads mit Rat und Tat unterstützt. „Das Bewusstsein der Betrachter für die Veränderungen in der Natur schärfen“ möchte Schwertfeger mit dem Projekt. Viele der Bäume, wie man sie heute kenne, könnten angesichts des Klimawandels schon bald aus den heimischen Wäldern verschwinden. Deshalb erforschen die Architekten, welche anderen Baumsorten noch in Jahrzehnten dem Klimawandel trotzen werden – Amberbäume oder Douglasien gehören dazu. Das Bureau Baubotanik arbeitet auch in Berlin, Mailand, Florenz und Wittenberg.

Im knallgelben Büro

Knallgelb ist das Containerbüro der Stuttgarter Architekten am Inneren Nordbahnhof. Mit dem Theater Rampe und dem Kunstverein Wagenhallen haben Storz und Schwertfeger auf einem Wiesenstück im vorderen Bereich ihr „Theatre Of The Long Now“ (deutsch etwa: Theater der langen Gegenwart) etabliert. Was verbirgt sich hinter dem Projekt, das aus Mitteln der Bundeskulturstiftung und dem Innovationsfonds des baden-württembergischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst gefördert wird? „Es ist eine sehr langsame Aufführung, die 100 Jahre dauern soll“, bringt Storz das Konzept auf den Punkt. „Oder auch länger“, sagt Schwertfeger. Von Anfang bis Ende werde das kein Mensch erleben. Im Jahr 2114 soll die Performance enden. Über Generationen hinaus zu denken und die Umwelt zu schützen, ist für Storz ein großes Ziel.

Die zwei Macher sitzen auf Holzbänken. Ruhig schauen sie die Silberpappeln an, die sich sacht im Wind bewegen. Die jungen Bäume sind mit gelben Pinnen gekennzeichnet. Auf den blauen Blüten der Wegwarte tummeln sich Bienen. „Wer hier sitzt, soll zur Ruhe kommen“, sagt Storz. An ausgewählten Terminen finden Veranstaltungen auf dem brach liegenden Gelände statt (siehe Kasten), dessen Ränder mit gelben Fähnchen aus Metall gekennzeichnet sind. Ein Schild weist den Weg in das Areal, das seine Besucher zu Performern macht. Über einen Barcode können sie sich eine Führung aufs Smartphone spielen lassen. Die Aktionskünstlerinnen Alice Ferl und Stine Hertel haben eine Performance entwickelt, die ihre Betrachter zur Langsamkeit verführt.

Zehn Jahre wollen Storz und Schwertfeger nun auch in Neuhausen auf den Fildern die heimischen Baumbestände erforschen. „Ein wichtiges Projekt in unserer Zeit“, findet Susanne Jakob, die die Ausstellung gemeinsam mit dem Ingenieur Florian van het Hekke kuratiert hat. Der langsame Gang zu den Bäumen entschleunigt aus ihrer Sicht jeden einzelnen: „Da geht es um Achtsamkeit, um Langsamkeit und um Nachhaltigkeit.“

Die künstlerische Leiterin freut sich besonders darüber, dass der Heimatforscher Karl Bayer die Künstler bei ihrem Projekt unterstützt. „Wir wollen ein breit gefächertes Publikum ansprechen“, sagt die Kunsthistorikerin. Bei allen ihren Ausstellungsprojekten holt sie Mitstreiter aus der katholisch geprägten Fildergemeinde mit ins Boot.

Karl Bayer freut sich darüber, dass das Bureau Baubotanik mit dem ersten baubotanischen Rundweg in Baden-Württemberg auch an die Geschichte der Jesuiten und ihres Studienheims in Neuhausen erinnert. „Das ist selbst bei jenen in Vergessenheit geraten, die schon lange hier leben.“ Da inzwischen viele neue Menschen in den Ort gezogen seien, verblassten die Erinnerungen immer mehr. Wie schmecken denn die Äpfel der Sorte Kardinal Bea eigentlich? „Säuerlich-süß, sehr lecker“, urteilt Karl Bayer, „der Geschmack erinnert ein wenig an Elstar“. Der gebürtige Neuhäuser würde es schön finden, wenn der Obst- und Gartenbauverein weitere Bäume der in Neuhausen gezüchteten Sorte pflanzen würde.

Das Duo vom Bureau Baubotanik freut sich, eine Tradition der Jesuiten wieder aufleben zu lassen. „Auch sie haben die Aufzucht und das Wachstum heimischer Gehölze untersucht“, sagt Oliver Storz. Er wünscht sich, dass die Besucher der „Visionären Räume“ sich ganz bewusst mit der Botanik und mit dem Klimawandel auseinandersetzen. Da soll der Rundweg ihr Bewusstsein schärfen.

„Visionäre Räume“

Vernissage: Die Ausstellung „Visionäre Räume – Spaces of Difference“ wird am Samstag, 28. September, 19 Uhr, beim Kunstverein Neuhausen in der Rupert-Mayer-Straße 68 B eröffnet. Das Breathe Earth Collective aus Graz, das Büro Baubotanik aus Stuttgart, Famed (Leipzig) und das Projekt „Stadtlücken“ aus Stuttgart zeigen ihre interdisziplinären Projekte. Die Ausstellung ist dann bis zu,m 17. November zu sehen.

Vortrag: Das Breathe Earth Collective (BEC) befasst sich in seiner ästhetischen Praxis mit Fragen der Ökologie, insbesondere mit Luft und Klima. Seit einigen Jahren arbeiten sie an einer Lösung mit wenig Energieverbrauch, die zur Klimatisierung überhitzter Städte beitragen soll. 2018 wurde das Kollektiv mit dem Outstanding Artist Award des österreichischen Bundeskanzleramts ausgezeichnet. Am Sonntag, 29. September, findet ein Vortrag statt – der Eintritt ist frei.

www.kv-neuhausen.de

Theatre Of The Long Now: Am Samstag, 5. Oktober, 16 Uhr, ist auf der inszenierten Brachfläche unter freiem Himmel bei den Wagenhallen (Innerer Nordbahnhof) in Stuttgart die nächste Veranstaltung.

www. bureau-baubotanik.de