Maude (Ursula Berlinghof) setzt beim Kunstexperten Percy (Ernst Konarek) alle Tricks ein. Foto: Daniela Aldinger - Daniela Aldinger

Von Verena Großkreuz

Esslingen - Es braucht eine Sekunde, um alle Hoffnungen zu zerschlagen. Ein kurzer Blick, und für Lionel Percy steht fest: eine Fälschung. Ob ein Kunstgemälde echt sei, wisse er in den ersten zwei Minuten. „Wissen ohne zu denken“, nennt Percy das. „Scheißen ohne zu pressen“, prollt Maude Gutman zurück. Sie ist wütend. Mit der langzeitarbeitslosen Mitfünfzigerin, die es in eine Wohnwagensiedlung irgendwo in der US-amerikanischen Provinz verschlagen hat, meint es das Leben nicht gut. Ihr Mann hat sie verlassen, ihr Sohn ist in jungen Jahren tödlich verunglückt. Jetzt scheint doch noch das Glück zu winken: In einem Trödelladen hat die Schnäppchenjägerin für ein paar Dollar ein Bild erstanden, durch Zufall erfährt sie, dass es sich um ein Original des berühmten Jackson Pollock, des Erfinders des Action Painting, handeln könnte. Da wären dann Millionen drin. Der widerwillig zur Expertise angereiste Gutachter Percy ist da aber anderer Meinung.

Im Zwei-Personen Stück „Das Original“ des US-Theatermannes Stephen Sachs, das jetzt im Podium I der Esslinger Landesbühne in einer Kooperation mit dem Theater Kempten Premiere hatte, treffen Menschen aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ernst Konarek lässt Percy, die Etepetete-Kunstkapazität mit dem kleinmaschig gestrickten Fremdwörterlatein, leise, oft mit vibrierender Genervtheit in der Stimme, eindringlich und stets deutlich sprechen. Er doziert jede Silbe betonend, wenn er etwa nach der „Pro-ve-ni-enz“ eines Bildes fragt. „Ich kenne ja nicht einmal meine eigene Pro-ve-ni-enz“, poltert Maude alias Ursula Berlinghof zurück, stets einem deftigen Straßenjargon frönend, derb und laut. Percy wiederum legt ein Taschentuch auf den Campingstuhl, bevor er sich setzt.

Aber Maude lässt sich von seiner zur Schau gestellten Kennerschaft nicht blenden, sie kämpft verbissen um das Kreuzchen auf der Expertise im Kästchen „Original“. Dieser Schlagabtausch macht die 80 Minuten höchst unterhaltsam – auch wenn Regisseurin Silvia Armbruster ein bisschen mehr Zwischentöne und Tonfälle hätte einfordern können. Ansonsten spielen die beiden Akteure wirklich gut. Maude ist schließlich nicht auf den Mund gefallen. Und sie arbeitet mit allen erdenklichen Tricks: macht Percy mit Whiskey betrunken, geht ihm in Federboa an die Hosenträger, präsentiert Beweismaterialien wie Fingerabdrücke. Und tatsächlich: Irgendwie schafft sie es, den bornierten Betonkopf zum (Ver-)Zweifeln zu bringen. Als sie das Bild mit einem Messer zerschneiden will, wird er handgreiflich und rettet das Werk.

Ausstatter Michael S. Kraus hat fürs milieuunterstreichende Outfit gesorgt: Sie in Plateauschuhen, pinken Bermuda-Leggings, durchsichtiger, busenbetonender Spitzenbluse. Er in korrektem Anzug mit Fliege und blank gewienerten Schuhen. Auf der Bühne ein USA-Irgendwo: links ein silbriger Caravan, rechts einige Kakteen, vorne eine Campingsitzgruppe.

Neben der witzigen Ebene geht das Stück immer wieder in die Tiefe. Berührt hört der Kunst-Kopf Maudes Erzählungen vom Unfalltod ihres Sohnes Eddie und von ihrem Suizidversuch zu. Die beiden kommen sich tatsächlich näher, sogar über die Kunst: etwa wenn Percy sein Initiationserlebnis mit 17 und einem Picasso-Bild schildert und Maude beschreibt, wie sie an einem lauen Abend beim Blick auf ihren „potthässlichen“ Pollock in all den wirren Linien plötzlich das Leben aufleuchten sieht.

„Das Original“ ist ein kluges Stück über die Frage, was Kunst ist, warum sie berührt, aber vor allem: wer über ihren Wert zu urteilen berechtigt ist. In dieser Hinsicht kann Percy seine Vorurteile nicht ablegen: Ein verschollenes Meisterwerk entdecke man sicherlich nicht in einer Wohnwagensiedlung. Echt oder unecht? Das lässt der Abend offen.

Weitere Vorstellungen: 1., 23. und 28. Februar, 20. März, 5. Mai.